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II. Die deutsche Wissenschaft im neunzehnlcn Jahrhundert. 551 Wißenschast gewirkt, die er außerordentlich vertieft und über eine bloße Fachdisciplin hinaus durchgeistigt hat. Roschcr's „historisch-physiologische" Methode schildert Max Wirth also: „Er führt dem Leser gewissermaßen den Gcdankcnprozcß vor, den die Gründer der Wissenschaft durchgcmacht haben müfscn, bis sic deren Gesetze aus den Tatsachen der Geschichte ermittelten. Er stellt nicht das Ideal einer VolkswirthschM hin, gleichsam wie ein Prokrustesbett, in das die Völker hineingcpaßt werden sollen, sondern er verfolgt die Grundbegriffe und Urbestandtheile der Wirthschaft bis in ihre historischen Anfänge, begleitet sie in ihrem Entwicklungsgänge durch die verschiedenen Eulturstadicn, um endlich mit Beobachtungen, Sätzen. Lehren zu schließen, welche die Erfahrung von Jahrtausenden geläutert hat". Unter den Leistungen Roschcr's für dic dogmatischen Grundfragen der Volkswirthschatt seien nur seine Untersuchungen über die Systeme der Landwirthschaft und über Colonialpolitik und Auswanderung erwähnt. Derselben historischen Richtung der Nationalökonomie gehören auch Schütz, Bruno Hildebrand (Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft) und namentlich Karl Knies an (politische Oekononiic nach geschichtlicher Methode; die Eisenbahnen; der Telegraph; das Geld u. a. W.), ferner auch Lorenz v. Stein, der Historiker des Tocialismus und Communismus (Lehrbücher der Volkswirthschaft und der Finanz- "issenschaft, System der Berwaltungslehre). Die Statistik haben Ed. Wappäus ("Göttingen und E. Engel in Berlin zu hoher wissenschaftlicher Blüthc und Prakti ker Bedeutung gebracht. In der neusten Entwicklung der deutschen Nationalökonomik sind besonders dieM-mch-mr. Dei großen Gegensätze der „Manchcstermänner" und der „K athederso cia- ^sten" hcrvorgctreten, wie die beiden Richtungen von ihren Gegnern mit einigem Hpott bezeichnet zu werden pflegen. Das charakteristische Merkmal der beiden Richtungen die Auffassung, die sie von der Aufgabe des Staats gegenüber dem wirthschaftlichen ^bm hegen. Die Manchesterpartei (genannt nach dem in jener Stadt gegründeten ^bden'schen Antikorngesctzverein), auf den Lehren von Adam Smith fußend, huldigt Prinzip des »Hisuer: karre«, der freisten Entwicklung der socialen und wirth- (4"stlichcn Verhältnisse mit möglichst wenig Eingreifen der Staatsgewalt und der Ge- 'chgebung, dem Grundsatz, daß die freie Concurrenz alle Leiden heile; sie vertritt ""Amtlich mit größter Entschiedenheit das Prinzip des Freihandels. Ihr gehören Gönner wie Max Wirth (Grundzüge der Nationalökonomie; Geschichte der Han- ^krjsm), I. Prince-Smith, I. Fancher, O. Michaelis, B. Böh- ^"t, Schulze-Delitzsch und eine Reihe bekannter liberaler Parlamentarier, wie Braun, Bamberger, Eugen Richter u. A. an. Gegen den einseitigen Doctrinarismus dieser Schule hat sich dann jene als „Kathedersocialistcn" bezeichnete Wung erhoben, welche dem Staate auch in wirthschaftlichen Dingen eine wesentliche ""iv eingreifende Ausgabe zuschreibt und, zum Theil wenigstens, auch die Berechtigung "As mäßigen Schutzzollsystems anerkennt. Zu dieser Richtung gehört eine Reihe Egerer akademischer Lehrer, wie A. Wagner, der gründliche Kenner des Bank- Finanzwesens, G. Schmöller, A. Held, E. Rasse, L. Brentano, Männer, die sich zum „Verein für Socialpolitik" im Gegensatz zur freihändlerischen "Alkswirthschaftlichen Gesellschaft" zusammengefunden haben. Mehr wirkliche Än derung an die socialistischen Lehren findet sich bei dem geistreichen und bedeutenden ' F. Schäffle, dem Verfasser von „Kapitalismus und Socialismus".