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540 0. Cultur- und Geistesleben in Deutschland. immer an die Lehren Smith's, bcistimmcnd oder widerlegend, anknüpfen, wie die Philosophen an Aristoteles oder Kant. Der riesige Aus- und Umschwung des ganz» wirthschaftlichcn Lebens in unserm Jahrhundert hat die Wissenschaft der VolkSwirth- schaftSlehre, die Erforschung social-politischer Probleme, nach alten Richtungen mächtig gefördert und der modern-freiheitlichen Richtung in der Rationalökonomie, wie ßc Adam Smith angcbahnt, reiche Nahrung gegeben. Auch nach dem Tode dieses große» Denkers behauptete England, das durch die außerordentliche Entwicklung seiner wirlb- schaftlichcn Verhältnisse einen natürlichen Antrieb auch zur wissenschaftlichen Erforschung der socialen und ökonomischen Erscheinungen hat, den ersten Rang in dieser Lieblings' diSciplin der neuern Zeit. Mai,Hus Einer der vielseitigsten und scharfsinnigsten Nachfolger von Smith war Roben Malthus, der die Begriffe von der Natur des Vermögens, des Kapitals, des Berthes und der Preise, des Arbeitslohns erfolgreich fortbildctc und bezüglich der Productivitöt der großen Arbeitszweigc, des Landbaus, der Industrie, des Handels, vielfach nB Forschungen anstellte. Am folgenreichsten aber wirkte er als Begründer der Bevölki' rungstheorie («Lsss.^ on rtie prlneipls ok Population«). Er trat der lange herr schenden Theorie entgegen, daß eine möglichst hohe Bevölkerungszahl unter ullc» Umständen ein Segen und seitens der Staatsrcgicrungen mit allen Mitteln, wie Er leichterung dec Eheschließung und Scheidung, Begünstigung früher Heirathen und zahlreicher Nachkommenschaft, Besteuerung des cheloscn Standes, Erschwerung der Aus- und Erleichterung der Einwanderungen u. dgl. zu befördern sei. Von dem in dieser Schroffheit nicht richtigen Satze ausgehend, daß die Bevölkerung sich rascher ver mehre als die Subsistenzmittel, jene in geometrischer, diese nur in arithmetischer Pro- gression, daß die Productivkraft der Natur nicht gleichen Schritt zu halten vermöge mit der der Menschen, sah er in der allzu sehr wachsenden Zunahme der Bevölkerung, dir nothwendig zur Ucbcrvölkerung werden müsse, den hervorragendsten Grund des Herr' schenden Elends. Es sei ein gefährlicher Jrrthum, an einen unendlichen Vervollkomm nungsfortschritt der Menschen und der social-politischen Einrichtungen zu glauben! zufolge eines mit eherner Nothwcndigkeit waltenden Naturgesetzes habe die Bevölkerung immer den Trieb, sich mit den zu ihrem Bestand erforderlichen Untcrhaltsmitteln R ein Mißverhältniß zu setzen und damit eine unendliche Kette von socialen Leiden her- vorzurufcn. Jede Bemühung, den Arbeitslohn dauernd zu bessern und die Lage der ärmeren Klassen zu heben, sei erfolglos, wenn nicht das Angebot der Arbeit unter der Nachfrage gehalten, die Vermehrung der Arbeitcrbcvölkerung eingeschränkt werde. Zwar helfe die Natur sich schon selbst, indem sie den lleberschuß an Menschenproduciion durch Hunger, Seuchen, Kriege, Auswanderungen, Mißwuchs u. dcrgl. dccünire- Das Elend sei das wirksamste Werkzeug, um das Gleichgewicht zwischen Menschmzahl und Nahrungsmitteln immer wieder herzustellen. Besser aber sei es, wenn dieser schreck lichen Sclbsthülfe durch weise Vorsicht und Enthaltsamkeit vorgebcugt werde; zu dB Zwecke aber müßten vor allen Dingen diejenigen Einrichtungen beseitigt werden, welche die Verantwortlichkeit der Eltern für das Schicksal ihrer Kinder schwächten. Dies führt Malthus zu seiner schroffen Verurtheilung der Wohlthätigkeitsanstaltcn und der euglb schm Armenpflegegesetze, die dem Armen das Recht auf Unterhalt aus öffentliche» Mitteln cinräumtcn, leichtfertige Ehen begünstigten und das Wachsthum des Prole tariats und seines Elends beförderten. Jenem Grundübel der Ueberwucherung dec Bevölkerung gegenüber wögen alle Regierungsmaßrcgcln und Staatseinrichtungcn, be stimmt die Lage der untern Klaffen zu verbessern, federleicht; eine pessimistische An schauung, die trotz vieler richtigen und unbestreitbaren Wahrnehmungen auf die Tugcns > der Nächstenliebe und Barmherzigkeit einen Bann legte, in ihrer Schroffheit viel Anstoß