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538 O. Cultur« und Geistesleben in Ten Ischl and. Freilich, wenn ein alter Organismus in Trümmer geht, so pflegt die GescllschB laug und schwer zu ringen, ehe sic neue feste Formen und Gesetze für ihr socnü- wirtschaftliches Leben gefunden. In einem solchen Ucbcrgangszustand BÜ harten Ringens und schmerzhafter Zuckungen befindet sich nuscr Jahrhundcck Es ist mit der „guten alten Zeit" ja ohne Zweifel viel Schönes, GcmüthvollB Tüchtiges zu Grabe gegangen, was unser Zeitalter voll rastlosen Erwcrbstricb^ voll kalter Berechnung, voll nüchterner Selbstsucht kaum mehr kennt. In dB fieberhaften Treiben des heutigen Erwerbslebens, unter den rastlos schwirrende» Nädern der Maschinen, unter dem zermalmenden Druck der ungehemmte» currenz mag mancher gemüthlich patriarchalische Zng des alten Handwerks >n" dem goldenen Boden verloren gegangen sein; mit der schrankenlose» Nieder!«!' sungs - und Verkehrsfrcihcit mag bei manchem die Liebe zur Heimat und i» einem seßhaften geordneten Leben Noth gelitten haben; Pessimisten mögen für ihre trübe Weltanschauung, daß die wirthschastliche Entwickelung unseB Zeit immer mehr dahin dränge, den besitzenden Mittelstand zwischen KaM lismus und Pauperismus, zwischen Plutokratie und Proletariat aufzureibB manche Belege beibringen: aber die meuschlichc Gesellschaft besitzt eine B erschöpfliche Heilkraft und wird schließlich aller inneren Leiden und Schöbe" Meister, wenn auch bisweilen unter schweren Zuckungen und auf gewaltthätigri" Wege. Mit der Wiederaufrichluug kleiner hinfälliger Schranken, mit der Rück' kehr zu überlebten Einrichtungen, zu denen die nothwcndigen Voraussetzung nicht mehr vorhanden sind, lassen sich die Schäden der Zeit nicht heilen. in Zeiten patriarchalischer Staatsbegriffe, enggcbundcncr WirthschaftsverhälüD eines nahbegrenzten Handwerksbetriebs, gutshörigcr Abhängigkeitszustände, cinr> beschränkten Verkehrs nothwendig und heilsam war, ist nicht mehr brauchbar!" in unsern Tagen großer öffentlicher Verhältnisse, einer ungeheuer entwickel» Maschinenthätigkeit, der Mobilisirung des Grundcigenthums, der weiten W' bildung des Creditwesens, der wunderbaren Schnelligkeit und Leistungsfähig^ des Transports, bei Dingen, die ihrer Natur nach enger Schranken spoW> Und wenn Pessimisten ans unleugbare Schattenseiten unseres modernen wirth' schaftlichcn Lebens Hinweisen, wenn Volksverführer und Jrrlehrer in der Be gehrlichkeit und Unzufriedenheit der untern Klassen einen günstigen Boden ft" ihre aufreizende Agitation gegen die Besitzenden finden, aus Kapital und Arbr" einen unversöhnlichen Gegensatz machen, so darf doch auch der gewaltige schritt nicht verkannt werden, den im großen Ganzen die Menschheit auch in B» materieller Hinsicht in neuerer Zeit gethau hat. Gewiß ist in unserem Erwerbs leben Arbeit und Lohn, Mühe und Genuß oft im schlechtesten Verhältnis; gB'" ist cs leicht, mit einem Griff in die Wirklichkeit das Wohlleben der Reichen g die Armuth, Noth, Entbehrung der „arbeitenden Klassen" in grellem Kontra" gegenüberzustellen und sehr wahrheitsgetreue Schilderungen von der vcrzwch' lungsvollen und hoffnungslosen Lage vieler Existenzen, namentlich in der«^