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II. Die deutsche Wissenschaft im neunzehnten Jahrhundert. 513 Zn fast noch strengerer Weise forderte der Andere eine Erziehung, welche an die Tlclle der selbstsüchtigen Motive die unbedingte Liebe zum Guten setzt und den Zögling gewöhnt, sich als ein dem Ganzen verpflichtetes Glied in der Kette ver nünftiger Wesen zu wissen. Diesem Gedanken gab Fichte dann in den „Reden an die deutsche Nation" eine politische Wendung, indem er in einer strammen Nationalerziehung nach antikem Vorbild das einzige Mittel, „die Menschheit auf ihre eigenen Füße zu stellen", erblickte. Auch aus dieser Schule einer abstrakten, aber charaktervollen Pädagogik gingen Theoretiker hervor, wie Ritter, Sauer, Johannsen u. A. Auch von Schelling, wiewohl er sich unmittelbar höchstens in seinen „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" der Pä- - - »i!. dagogik genähert hat, gingen doch bedeutende Anregungen aus, wie die Namen 3.1. Wagner, Blasche und vor Allem Graser bezeugen. Eingehender hat sich Hegel mit diesen Fragen beschäftigt; ihm ist der Mensch, was er ist, erst durch Erziehung und Bildung, die ihn zum Abstreiscn seiner Zufälligkeiten und Bcsonderlichkcitcn, zum Wissen und Wollen des Allgemeinen bringen soll. Von diesem Standpunkte aus ist sowohl das System der Erziehungskunst selbst durch Rosenkranz als auch besonders die Gymnasialpädagogik von Deinhardt, Kapp, Thaulow bearbeitet worden, während Emil Anhalt sich der Theorie des Volksschnlwcscns znwandte. Sehr tiefgreifende Wirkungen hat neben Hegel in seinen „ Vorlesungen r^gische über Pädagogik" auch Schleiermacher geübt, z. B. durch seine idealistischen Ansichten über die Strafen und seine unbedingte Polemik gegen alle Körper strafen. Während er sich übrigens noch ganz von philosophischen Prinzipien leiten läßt, haben Theologen wie der katholische Dursch und der protestantische Palmer, das System der Pädagogik auf Voraussetzungen von dogmatischer Natur aufcrbaut. Am förderlichsten aber haben in neuerer Zeit diejenigen Philosophen in die Erziehungswissenschaft eingegriffen, welche dieselbe auf rein Psychologischer Unterlage durchzubilden versuchten. Die hier in Betracht kom menden Hauptrichtungen führen sich auf disNamen Herbart und Beneke zu-H-iba«^ nick, denen wir schon in dem Abriß der neuesten Philosophie begegnet sind. Amer, der Nachfolger Kant's auf dem Königsberger Katheder, ist von der Pä dagogik erst zur Philosophie übergegangen und hat zuerst über Pestalozzi ge schrieben, daun eine ganze Reihe pädagogischer Werke verfaßt. In strenger Verfolgung seines" Begriffs von der menschlichen Seele als einem schlechthin einfachen Wesen, welches die von Außen es treffenden Affektionen mit Vorstel lungen beantwortet, sucht, er die ursprünglichen Thatsachen der inneren Erfah rung aus, um aus ihnen alle zusammengesetzten Erscheinungen des geistigen Lebens zu begreifen und endlich den Zweck der Erziehung in einer, der sittlichen Charakterbildung untergeordneten „gleichschwcbenden Vielseitigkeit der geistigen Interessen" zu finden. „Alle müssen Liebhaber für Alles, Jeder muß Virtuose m Einem Fache sein"; dies sein berühmtester Kanon. Während Kant, Fichte, Schleiermacher, Rosenkranz das Ziel der Erziehung mehr in das Gemeinsame Wkbti, Wlttgkschichlr. XV. 33