Volltext Seite (XML)
II. Die deutsche Wissenschaft im neunzehnten Jahrhundert. 499 So sehr indessen diese reformatorische Thätigkeit als ein Fortschritt zu bc-Niu-W-g-. trachten war, so konnte sie in ihrer einseitigen Richtung doch nur als eine Uebcr- gangsstufe gelten. Auf ihrem eigenen Boden wurden die Männer großgezogen, welche, wie Gustav Hugo in Göttingen, Heise in Jena, Thibaut in Heidelbergs ii. A., die auf anderen Gebieten gewonnenen Resultate und Methoden auf die Jurisprudenz anwcndcnv, eine tiefere, gründlichere und geschmackvollere Behand lung des Rcchtsstudiums Hervorricfen. „Allein alle diese Männer standen noch wesentlich ans dem Boden des alten Rationalismus, und wenn sie auch den Werth der Rcchtsgeschichte besser als ihre Vorgänger würdigten, so erblickten sic doch die Aufgabe der Wissenschaft wesentlich in einer philosophirendcn Methode, um die Gesetze Justinians mit den Anforderungen des gesunden Menschenver standes, der natürlichen Vernunft in Einklang zu bringen". Erst die romantische Schule, die neben manchem Krankhaften und Verkehrten viele edle Bestrebungen ins Leben rief, die aus dem Schachte der Vergangenheit so manches kostbare Metall zu Tage förderte und zur Bereicherung und Verschönerung der Gegenwart ver- werthete, zeigte auch in der Jurisprudenz ihre anregende Kraft. Indem sie zu dem kritisch-philosophischen Geist die tiefere historische Forschung hinzufügte und mit empfänglichem Sinn und Vcrständniß sich in die Natur und die Eigenthümlich- keiten der Völker und Zeiten versenkend, der geistigen Arbeit früherer Geschlechter nachging und die Begriffe und Anschauungen im rechten Lichte darstcllte, bewirkte sic, daß die von dem Geist der Romantik berührten Rcchtsgelehrten die Juris prudenz auf eine höhere Stufe führten. Dies geschah vor Allen durch Friedr. Karlv. Savigny, den Sprößling eines nach Deutschland übcrgesiedeltcn ober- lothringischen Rittcrgeschlechts, der in Frankfurt a. M. geboren, in Marburg, Landshut und Berlin als gefeierter akademischer Lehrer, zuletzt als Staatsmann und Minister wirkend, den ganzen geistigen Aufschwung der Zeit auf die Rechts wissenschaft übertrug und als „Haupt der historischen Rechtsschule" zur Begrün dung einer neuen Aera in der Jurisprudenz den größten Impuls gab. Nach dem er in der geistvollen Schrift „das Recht des Besitzes" das Vorbild einer echt juristischen Methode aufgestellt, hat er in den beiden Hauptwerken „Geschichte des komischen Rechts im Mittelalter" und „System des heutigen römischen Rechts" eine feste Basis für die historische und dogmatische Behandlung dieses Haupt- Miges der Rechtswissenschaft gelegt. Mit dem Falle Napoleons und der Aufrichtung des deutschen Bundes DnSi-m wüten neue Ziele und Richtungen in das Staats- und Rechtslcben ein, die sich stc-ai°n. "uch in der Wissenschaft nusprägten. Wenn im Gegensatz zuThibaut, wel- in einer berühmten Flugschrift: „Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen ^gerlichen Rechts für Deutschland" im Sommer 1814 „so recht aus der vollen Wärme seines Herzens" die Aufstellung eines gemeinschaftlichen deutschen Gesetz- uches des bürgerlichen Rechts dringend empfahl, Savigny in der kleinen Schrift: " kber den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" von 32*