ll. Die deutsche Wissenschaft im neunzehnten Jahrhundert. 467 reichern bemüht war, suchte die Wissenschaft in die Natur und in die Mcnschcn- welt cinzudringcn; suchte die Geschichtschreibung durch Erforschung und Dar stellung der Thate» und Bestrebungen früherer Generationen die Nachgebühren über die Zustände und Erlebnisse der Vergangenheit zu unterrichten, die Eonti- nuität des Menschengeschlechts durch alle Jahrhunderte festzuhalten und der Gegenwart die Arbeit und die Errungenschaften der Vorfahren zu bewahren; suchte die Jurisprudenz die Rechtsnormen und Rcchtsinstitute zu erzeugen und zu beleuchten, unter welchen das staatliche und gesellschaftliche Zusammenleben seinen geordneten Lauf vollbringen könnte; suchte die Naturwissenschaft auf dem Wege der Jnduction mittelst Beobachtung und Erfahrung der Natur ihre Kräfte und Wirkungen abzulauschen, die Erscheinungen und Vorgänge in dec physischen und materiellen Welt zu begreifen und zu erklären, die Naturdinge des Universums in ihrem Entstehen, Bestehen und Vergehen zu erforschen, das Weltall und die kosmische Ordnung und ihre Gesetze zu ergründen; suchte die Theologie, wie wir oben gesehen, in die Wahrheiten der Religion, in das Wesen und die Bedeutung der Offenbarung einzudringen und die Entstehung und Fortbildung der Glau benslehren und den Gang des kirchlichen Lebens zu erfassen und darzuthnn, und auch die Philosophie, wenn sie gleich durch kein neues weltbeherrschcndes System die früheren Lehrgebäude verdrängte, vielmehr ihre Aufgabe in der kritischen und historischen Behandelung älterer Philosophen oder in der Erfor schung der geistigen Functionen und ihrer Anwendung auf die reale Welt zu lösen suchte, behauptete dennoch ihre Macht und hohe Stellung im Reiche der Wissen schaft, indem sie die durch Kritik und Empirie erlangten Resultate zur Aufstellung allgemeiner Gesetze verwcrthete und den andern Wissenschaften Formen und Methoden zum abstrakten Denken und zur Speculation darbot. Hat die Philo sophie von dem kühnen Constructionsvcrfahren früherer Jahre abgelcnkt, hat sie es aufgegeben, die geistigen und physischen Lebensfunctionen der Natur und Menschcnwclt durch eine mächtige aber einseitige Geistesarbeit zu umspannen; so hat sie dennoch ihre Würde als „Weltweisheit" zu wahren gewußt. Nur an ihrer Hand und mit ihrer Hülfe konnte die Naturwissenschaft zu einer Theorie der Genesis der Erde und ihrer Zeugungen gelangen; konnte der Versuch gewagt werden, in dem Gebiete des geschichtlichen Lebens eine bestimmte Gesetzmäßigkeit nachzuweisen, die menschliche Willensfreiheit und die Handlungen selbstbewußter Persönlichkeiten unter die Macht einer naturnothwendigen Causalität zu bannen; konnte die Philologie zur vergleichenden Sprachwissenschaft aufsteigen, wie sie dem Geiste eines Wilhelm von Humboldt vorgeschwebt hatte. Als ein großer Schritt zur Vermehrung und Verbreitung wissenschaftlicher C°nc-ni»ti°n Bildung muß die Einrichtung der öffentlichen Vorträge betrachtet werden, einemungÄr"' Sitte, die immer weitere Dimensionen annimmt und die Wissenschaft zum Ge-»mch B°r. weingut aller Stände und jedes Alters und Geschlechts zu erheben bezweckt. samm"u»g-" Wurde früher die Wissenschaft als das Sondergut kleiner abgeschlossener Ge- 31*