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I. Die poetische Literatur nach Goethe. 463 nung, bald, wie Annette von Droste-Hülshof, eine lyrisch-romantisches«-^ Dichterin aus Westfalen, in feudalem, streng katholischem Conscrvatismus, baldHü^'i^ in negativer malcontcnter Geistcsrichtung und Verstimmung über die bestehenden socialen und politischen Zustände. Rahel, die als Jüdin geborene, später zum Christcnthume übcrgetrctene Gattin Varnhagens von Ense, dem wir bald unter den Geschichtschreibern begegnen werden, eine Frau von Talent und Ori ginalität, erregte durch die von ihrem Gemahl als Nachlaß hcrausgcgebcnen Briefe („Rahel, ein Buch des Andenkens für ihre Freunde" und „Gallerte von Bildnissen aus Rahels Umgang"), die mehr durch Gedankenfülle als durch Stil und ^aphoristische) Form glänzen, großes Aufsehen in den vornehmen Kreisen, wo pikante, geistreiche Bemerkungen, Urtheile und Aussprüche mehr Anklang und Bewunderung finden, als gediegene, auf Nachdenken und Erfahrung be ruhende Lcbensanschauung, und wo ein Ankämpfcn wider natürliche Verhältnisse nicht selten für ein Zeichen einer höhern, ungewöhnlichen Individualität gilt. Uebrigens war Rahel nicht blos berühmt als Mittelpunkt eines sie bewundern den geistreichen Kreises von namhaften Persönlichkeiten und wegen ihres ausge breiteten brieflichen Verkehrs, sondern auch durch ihre wohlthätige Wirksamkeit in Zeiten der Noth und Bedrängniß. Elisabeth von Arnim (genannt Bettina), die erregbare, ercentrische Schwester des Novcllcndichters El. Brentano und die Gattin des Romantikers Achim von Arnim, ging von einer an Anbetung gren-^M.hm^ Mm Bewunderung Gocthe's, die sie in ihrem an vortrefflichen Schilderungen, geistvollen Bemerkungen und poetischen Ideen und Bildern reichen „Briefwechsel eines Kindes" nicdergclegt hat, allmählich zum äußersten Demokratismus über, eine Denkweise, die der Goethe'schcn Weltanschauung schroff gegenübcrstand. Ein Weiter, in dem Buche „die Günderode" veröffentlichter Briefwechsel ist ebenfalls reich an dichterischen Schönheiten und musikalischen Wohlklängen, und zeugt namentlich von ihrer hohen Empfänglichkeit für das mächtige Walten der Natur; aber die übergroße Naivetät und zur Schau getragene Originalität und Unge bundenheit, wodurch sic auch ihren spätern Werken stets den Charakter der Kind- iichkeit zu bewahren suchte, bewiesen eine krankhafte Geistesrichtung und eine überspannte Phantasie, die nothwendig auf Irrwege führen mußte. Doch be wahrte sie stets ein warmes Gefühl für die leidende Menschheit, ein Gefühl, das !ie auch in den Schriften ihrer spätern Periode bewährte, als sie sich in die soci- ulm Probleme, in die verworrene Lcbcnsgestaltung der Neuzeit vertiefte („Dies ^uch gehört dem König"; „Jlius Pamphilius und die Ambrosia"; „Gespräche wit Dämonen"). Als Bcttina's Antipode kann die aristokratische Gräfin Ida v o n H a h n - Na». Hahn, -^hn gelten, eine durch äußere Widerwärtigkeiten wie durch innere Unruhe und isos-wso. den Hang zu einem vagirenden Leben vielfach umhergctriebene Dame, die blasirten Ansichten und die Erzeugnisse einer überreizten Phantasie in zahl- Romanen und Reisebeschrcibungen dargelegt hat. „Die angeblich aristo-