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446 6. Cultur- und.Geistesleben in Deutschland. stcnglauben, gegen den er eine offene Abneigung zeigt. „Das Lhristcnthum ist ihm der traurige Aschermittwoch, der alle Blumen erstickt und die Welt mit Gespenstern anfüllt ; die Reiigion des Opfers und der Kreuzigung, die der ganzen Erde ein Leichen' ausschen gibt". Heine s sinncntrunkcncr Realismus und Pantheismus war der poe tische Vorläufer des philosophischen Materialismus, den wir später kennen lernen werden und thcilwcise schon in dem Abriß der neuesten Theologie (S. 6 t f.) kennen gelernt haben. ^jung- Hcine's Dichtungen sagten dein malcontcnten Zcitgeiste und der Neigung zur Negation und Opposition wider alles Bestehende besonders zu, daher sie auf die gesanuute deutsche Literatur den größten Einfluß übten. In erster Linie schloß sich das „junge Deutschland" an den hochbegabten Dichter an und nahm ihn in vielen Stücken zum Vorbild. Mit diesem Gcsammlnamen bezeichnet man eine Reihe gewandter Schriftsteller, die sich ein freies Literatenleben als Berus wählten und auf den Ertrag ihrer vielseitigen literarischen Leistungen ihre Existenz gründeten, die ein leichtes, künstlerisches Talent höher stellten, als Gelehrsamkeit und geistige Tiefe, und darum ihre ganze Sorgfalt der stilistischen Glätte, der pikanten, lebendigen Darstellung, der formellen Vollendung zuwandtcn. 3"' Haber oder Mitarbeiter politischer und literarischer Zeitschriften, deren Macht und Bedeutung auf die öffentliche Meinung und auf das vorschnelle Urtheil der oberflächlichen Leserwclt von Tag zu Tag zunahm, wußten sie die Aufmerksam keit des Publikums stets auf sich und ihre Leistungen zu richten und einen Ge schmack zu bilden, dem ihre leichten, skizzenartig hingeworfenen Erzeugnisse, i» denen häufig die Mittelmäßigkeit und Plattheit der Conception unter einem geht' reichen, pikanten Anstrich verhüllt war, zusagtcn. Die große Ausdehnung des Buchhandels und die wachsende Zahl der Leser erleichterte ihr Unternehmen. Guhk°w. Als das Haupt dieser jungdeutschcn Schule kann Karl Gutzkow gelten, ein beweglicher Geist von großem Aneignungsvermögen, klarem Bcobachtungs- sinn und vielseitigem Talente, der jedoch den Erzeugnissen einer fruchtbare» jugendlichen Phantasie nicht immer die gehörige Reife gönnte. Nachdem er sich als Mitarbeiter einiger Zeitschriften durch eine Reihe kritischer, satirischer u»d literarischer Arbeiten bereits einigen Ruf erworben, zog er sich durch seine i» künstlerischer Hinsicht unbedeutende Novelle „Wally die Zweiflerin", einen Aus fluß Faustischen Dranges voll phantastischer Sinnlichkeit, wegen der darin ent haltenen Angriffe auf Religion, christliche Sitte und Che, eine kurze Haft z»- Diese Verfolgung wurde hauptsächlich durch die denunciatorischeu Ausfälle Wols' gang Meuzcl's, des langjährigen Rcdacteurs des Stuttgarter Kunst- und Liter»' turblatts, mit dem Gutzkow anfangs befreundet war, herbcigeführt, daher m>» da an ein untilgbarer Haß und Neid zwischen Beiden bestand. Nachdem sich Gutzkow noch durch eine Anzahl Novellen und Romane („Seraphim", „Blasedom und seine Söhne" Charaktere aus der Gesellschaft als Folge von Erziehnngs- expcrimenteu a. a.), durch satirische und kritische Aufsätze iu dem von ihm reim girten „ Telegraphen" und durch literarische Arbeiten verschiedenen Inhalts cnm»