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I. Die poetische Literatur nach Goethe. 443 lagen, die tiefsten Empfindungen, die mannichfaltigstcn Wandlungen cineS reichen innern Lebens weiß er mit Klarheit und Lebendigkeit sich aussprechcn zu lassen". Eine glänzende, nicht immer corcctc Bildersprache, urthcilt Julian Schmidt, ein klangvoller Bers, ein rhetorisches Pathos, das sich vor Gewöhnlichkeiten nicht scheut, aber immer die Sympathien des Publikums zu treffen weiß, vor Allem ein warmes Dichtcrgemüth, welches an seine Empfindungen glaubt, haben Fr. Halm eine Zeitlang zum Liebling der deutschen Bühne gemacht. 2. Sörnc und Hcinc. Das junge Deutschland. Durch die Julirevolution wurde die aristokratisch-romantische Zeitrichtung im Staat und in der Literatur aus ihrer sichern Ruhe aufgeschreckt und in ihrem «u«--»-. Besitzthum gefährdet; und wenn cs auch der Staatskunst gelang, im öffentlichen Leben die alten Zustände und die gewohnten Formen größtenthcils zu erhalten oder wieder hcrzustellen, in der Literatur blieb der Geist des Liberalismus Sie ger; er gewann täglich an Boden und nahm eine mit dem äußern Umfange wachsende Kühnheit und Schärfe an. Bald war die romantische Poesie nur noch eine historische Erinnerung; sie hatte sich nicht um das Volk bekümmert, es geschah ihr daher auch kein Unrecht, als dieses ihr den Rücken zuwandte. Ihre Erscheinung war ein flüchtiger „Blüthenstaub" ohne nachhaltige Wirkung. Vor dem Frühlingshauche frischer Werdelust vermochten die Kunstgcbilde der reinen Phantasie nicht zu bestehen. Desto massenhafter und wirksamer trat dagegen die Literatur der politischen Opposition und des Demokratismus ins Leben; anfangs mit Mäßigung und Zurückhaltung, nach und nach aber, ermuthigt durch den Beifall des über die Beamtcnherrschaft und den Polizeistaat miß- wuthjgen Volks, mit wachsender Kühnheit und dcstructiver Heftigkeit, so daß hch der Liberalismus bald durch den Radicalismus überflügelt sah, der, nicht infneden mit der politischen Opposition, allmählich alles Bestehende in Kirche und Staat bekämpfte und die gesellschaftliche Ordnung aufzulösen drohte. Die Norfechter dieser zersetzenden und vernichtenden Literatur waren eine Anzahl talentvoller Männer jüdischer Abkunft, welche sich für die Verfolgungen, Krän- tnngen und Rechtsvcrkürzungen, denen das israelitische Volk in Dcuschland so lange ausgesetzt war, nunmehr dadurch zu rächen suchten, daß sie die bestehende Weltordnung umzustürzen und die gewohnten Verhältnisse durch Spott, Satire und kecke Angriffe zu untergraben sich bemühten. Fremdlinge in dem Lande ihrer Geburt durch eigene wie durch Anderer Schuld, war ihnen Vaterlandsliebe sw unbekanntes Gefühl; für Religion und Kirche, deren Werth und Bedeutung ni nie empfunden, hatten sie weder Ehrfurcht noch Liebe; und wie sollten sie ^lhge Einrichtungen und Sitten achten, nach denen sie stets für Unebenbürtige galten? In ihrem Herzen, in dem der religiöse Aberglaube der Väter einem kalten philosophischen Deismus weichen mußte, sprach keine Jugcndcrinncruug