V. Ungarns Erhebung und Fall. 409 zurück, uni neue Verstärkungen abzuwartcn. Auch im Süden behielten die Magyaren die Oberhand; die Schanzen von St. Thomas fielen in ihre Ge walt, bis Pancsova trugen sic ihre siegreichen Waffen; die österreichischen Truppen blieben ans fremdem Boden ; auf drei Seiten standen die Ungarn drohend an den Grenzen ihres befreiten Landes. Voll stolzen Vertrauens über diese Erfolge hatte bereits der Reichstag in Debreczin die Unabhängigkeit Ungarns von Oesterreich ausgesprochen, cine-u^ provisorische Regierung unter der Leitung Kossuth's als Gouverneur bestellt und"", somit die Brücke zu einer friedlichen Ausgleichung abgebrochen. Dieser entschei dende Schritt zur Begründung einer magyarischen Republik erzeugte die erste große Spaltung zwischen Kossuth und Görgey und schuf den Geist des Zerwürf nisses in ihren eigenen Reihen. Letzterer, mit der Uuabhängigkcitserklärung un zufrieden und von Neid erfüllt über die hohe Stellung des Gouverneurs, folgte von da au den Eingebungen seines Ehrgeizes und seiner Herrschsucht und nahm eine von der Regierung immer mehr unabhängige Haltung an. Weder der Rang eines Oberbefehlshabers, der von Dembinski auf ihn übertragen ward, noch die damit verbundene Würde eines Kriegsministers waren vermögend, den ehrsüchtigen Fcldherrn mit Kossuth und der Landesregierung zu versöhnen. In seinem militärischen Stolze verachtete er die Befehle der Regierung, lehnte das ihm vom Reichstag zugetheilte Militärvcrdienstzeichcn nebst Rangerhöhung ab und handelte im Bewußtsein des überlegenen Talentes eigenmächtig und rück sichtslos. In ihrer Bedrängniß wendete sich die österreichische Regierung an Rußland um Hülse. An demselben Tage, da Görgcy Ofen erstürmte, war zwischen dem 21. Mai Kaiser von Rußland und dem jungen Beherrscher von Oesterreich in einer per sönlichen Besprechung zu Warschau Ungarns Schicksal beschlossen worden. Der Aufstand hatte eine solche Ausdehnung genommen, daß das geschwächte Kaiser reich denselben allein nicht mehr zu unterdrücken vermochte; ein siegreicher Aus gang der ungarischen Erhebung hätte Oesterreich zu einer Macht zweiten Ranges herabgedrückt, hätte die Partei des Umsturzes in ganz Europa ermuthigt, hätte alle monarchischen Staaten in ihren Grundfesten erschüttert. Die begeisterte Theilnahme der Polen an dem ungarischen Kriege und die laute Freude der Polnischen Grcnzländer über die siegreichen Waffen der Insurgenten gaben Zeug- niß von der hohen Bedeutung dieses Kampfes für jene unterdrückten und nach Befreiung seufzenden Völker. Auch die Ruhe des russischen Kaiserreichs war bedroht. Wie sollte nicht der Zar eine Unterstützung gewähren, durch welche die Geschicke der östlichen Länder in seine Hände gelegt wurden? Nicht blos für Oesterreich und für die Sicherheit des eigenen Landes, wie ein Manifest des russischen Kaisers verkündete, sondern auch für die künftige Größe und Macht stellung griff daher der Zar aller Reußen zu den Waffen. Gegen Ende Mai waren die Rüstungen so weit beendigt, daß die russischen Heere unter dem Ober-