IV. Die deutschen Verfassungskämpfe. 353 Soldaten wuchs mit dein Widerstand; besonders brannte das Regiment Latour, das mit umflorte» Fahnen einhcrzog, vor Verlangen, den Tod des Generals zu räche». Am 28. und 29. October war der Kampf am heißesten; schon waren die Außeuwerke und Vorstädte erobert, den Insurgenten gebrach cs an Lebens mitteln und Kriegsvorrath; die Stadt war unhaltbar, fernerer Widerstand drohte das Unglück nur größer zu machen. Der Geincindcrath, nunmehr die einzige gesetzliche Obrigkeit, da der Reichstag durch kaiserliche Botschaft geschloffen und aus den 15. November nach dem mährischen Städtchen Krcmsicr Unberufen worden, beschloß die Stadt auf Gnade und Ungnade, wie der Sieger verlangte, zu übergeben. Am Abend begann schon die Abführung der Waffen, und am 30. Oktober rückten die Truppen von allen Seiten bis zum Glacis vor. Da sah um zwei Uhr ein Wächter vom Stcphansthurm gegen die ungarische Grenze hin Pulvcrdampf aufstcigcn. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch die Straßen: „Die Ungar» kommen!" und weckte von Neuem den Kriegsmuth. Der Vertrag wurde gebrochen, die abgelicfcrtcn Gewehre den Zeughäusern wieder entnommen, die Kanonen auf die Wälle gepflanzt und neue Ausfälle gewagt. Die Stadt war gänzlich in den Händen des Proletariats und verzweifelter Rotten von Freischaaren. Allein die Hoffnung der Insurgenten wurde getäuscht. Zwar waren die Ungarn wirklich im Anmarsch; aber ihr großentheils aus einem raschgebildeten Landsturm von jungen Leuten bestehendes Heer wurde von den Kroaten und dem österreichischen Militär an der Schwechat mit großem Verlust zurückgeschlagen und zum schnellen Abzug nach Preßburg gezwungen. Mit doppelter Wuth wurde nunmehr die Kaiscrstadt von den über den Treubruch empörten Soldaten von Neuem bestürmt. Der Widerstand war schwach und von kurzer Dauer. Die Truppen drangen unter Begünstigung der über die Prolctaricrherrschaft entrüsteten Nationalgarden bis zum Stcphansplatz und auf den Hof des Kriegsgebäudcs, wo der Laternenpfahl, an dem Latour's Leiche gehangen, unter Geheul unigestürzt und zertrümmert wurde. Die Aula war leer, die Kalabreserhüte verschwanden plötzlich. Wien bot einen Anblick des Schreckens nnd Jammers dar. In den meisten Straßen Kugelspuren an den Häusern, so schildert ein Augenzeuge die Semen, in den Vorstädten ganze Straßenreihen niedcrgebrannt, an tausend Stellen Leichen und Blutlachen, überall Frauen oder Kinder, nach den Männern oder Vätern suchend, dazwi schen Kroaten, nür auf Plünderuitg bedacht. Am 2. November hielt Jellachich seinen Einzug in die eroberte Stadt, Suaf^nchte. über welche bereits Windisch-Grätz von seinem Hauptquartier Hetzcndorf aus ' den strengsten Belagerungszustand verhängt hatte. Nun begann die eiserne Herr schaft des Schwertes. Die Stadt wurde streng abgeschlossen, die Einwohner entwaffnet, alle Häuser und Straßen durchsucht, alle Gefängnisse mit Schul digen und Verdächtigen gefüllt. Wochenlang hielten die Nachrichten über die standrechtliche Behandlung „mit Pulver und Blei" das deutsche Volk in Aus- W-ber, W-Ugtschichte. XV. 23