III. Zug der Revolution durch Europa. 313 Folge dessen den Beschluß faßte, daß eine aus dein breitesten demokratischen Wahlmodus ohne Rücksicht auf Stand, Vermögen (Ccnsus) und Glaubcns- bekcnntniß hervorgehende Nationalversammlung zu Anfang des Mai über die künftige Verfassung und den politischen Rcchtszustand Deutschlands mit un beschränkter Machtvollkommenheit entscheiden solle, und daß ein ständiger Aus schuß von Fünfzigmänncrn über die genaue Vollführung dieses Beschlusses von Seiten der Regierungen zu wachen habe: eine radicalc Partei, Hecker, Struve u. A. an der Spitze, verschmähte diesen Gang der Reform und empfahl den Weg der Revolution. Als ihre Anträge auf Pcrmanenzerklärung der gegen wärtigen Versammlung und Beseitigung des Bundestags nicht die erforderliche Majorität erhielten, schiede» sie aus und riefen, ergrimmt über die Verhaftung des Demagogen Fickler von Constanz durch Karl Mathy, einige Wochen nachher im badischen Oberlande das aufgeregte und durch lärmende Versammlungen in Athem gehaltene Volk zur Gründung einer Republik mit gewaffneter Hand auf. Aber die republikanische Schilderhebung hatte wenig Fortgang. Nach einigen Streifzügen und nach den Gefechten von Kandern, wobei der tapfere Bundes- 20. AM. general F r i e d r i ch v 0 n G a g e r n seinen Tod fand, und bei Dossenbach, wurden die Freischaaren, welche durch die Zuzüge fremder Republikaner und deutscher Arbeiter aus Frankreich unter dem Dichter Herwegh verstärkt worden waren, von den Bundestruppen zerstreut und der Aufstand unterdrückt. Allein die Idee einer deutschen Republik, unter welcher der gemeine Mann sich einen Zustand Paradiesischen Glücks träumte, wo der Grundsatz „Freiheit, Wohlstand, Bildung für Alle" zur Geltung kommen würde, blieb im Volke herrschend und Heckcr's Name erklang im Liede durch das ganze deutsche Vaterland. Am 18. Mai wurden die Sitzungen der aus freier Volkswahl hervor-D^R-iiio^ gegangenen verfassunggebenden Nationalversammlung eröffnet. Die durch Talent, m Bildung und Beredsamkeit ausgezeichnete Versammlung in der Paulskirche zu Mai 1848. Frankfurt, sowie die würdevolle Gestalt und Haltung des ersten kraft- und tact- reichen Präsidenten, Heinrich von Gagern, war ein ehrenvoller Ausdruck deutscher Bildung und Gesinnung. Um unter dem Schutze einer kräftigen Ordnung in Ruhe und Sicherheit gegen Störungen von Unten wie von Oben ihr hohes Werk vollenden zu können, beschloß die Nationalversammlung die Errichtung einer neuen Centralgewalt. Der Bundestag war in der deutschen Nation in zu schlimmem Andenken, als daß mau hätte glauben dürfen, ihn trotz seiner gänz lichen Umgestaltung beibehalten zu können. Er wurde von den Demokraten als eine „Leiche" geschildert, deren Wiederbelebung nicht möglich schien. Aber schon bei dieser Gelegenheit traten die Parteitendenzen scharf zu Tage. Die Radikalen wollten die executive Gewalt aus der constituirenden Versammlung selbst auf steigen lassen und sie in die Hand eines „Präsidenten" legen; die Gemäßigten waren für die Errichtung einer provisorischen Regierung außerhalb der Ver sammlung. Die Letzteren behielten die Oberhand, wie wir bald erfahren werden.