Volltext Seite (XML)
II. Die Pariser Februarrevolution u. die zweite Republik. 301 mehrere Stunden von Schwager und Kindern getrennt, entkam sie zuerst nach dem Jnvalidcnpalast und dann unter dem Schutz der neuen Regierung über Belgien nach Deutschland. Mittlerweile hatten sich die Aufstandscomites des alt- republikanischen „National" und der socialistischcn „Refornic" mit Lamartine dahin verständigt, daß Frankreich eine Republik sein sollte. Die nach der Entfernung der Orlcans'schcn Familicnglicdcr aus dem Palais Bourbon in ziemlich tumul- tuarischcr Weise vollzogene Einsetzung einer provisorischen Regierung unter dein Vorsitz des alten Dupont de l'Eure (geb. 1767) war der Uebergang zur republikanischen Staatsforui, die nach stürmischen Berathungcn auf dem Stadt- Hause proclamirt ward. Lamartine wollte, daß vor der Festsetzung der neuen Staatsform die französische Nation befragt werde; aber der Ungestüm der revolutionären Masse und der Einfluß Ledru-Rollin's und Louis Blanc's er zwangen die Verkündigung der Republik, „vorbehaltlich der Zustimmung des Vol kes, das sofort befragt werden soll". Lamartine, Ledru-Rollin, Francois Arago, Garnier-Pages, Cremicur und Louis Blanc waren die bekanntesten Glieder dieser neuen auf dem Stadthaus eingerichteten Regierung. Indessen wurden die Tuilericn eingenommen, Möbel und Zicrrathcn verbrannt, der Thron auf den Bastilleplatz getragen und unter der Julisäule zertrümmert, und in die Prunk gemächer des Schlosses zog ein Schwarm zerlumpter Proletarier ein. Plün derungen oder rohe Vergehungen gegen Leben und Eigenthum fanden nirgends statt, und die Kunstschätze schützten Studenten und Polytechnikcr. Eine „Mobil garde" von Lamartine aus der Pariser Jugend gebildet stand der provisorischen Regierung zur Seite und setzte sie in Stand, den ausschweifenden Forderungen der leidenschaftlich erregten Volksmasscn zu widerstehen. Einige Tage nachher errichtete der neue revolutionäre Polizeipräfckt Caussidicrc eine republikanische Volksgardc. Wenige Stunden hatten hingercicht, die mächtige Monarchie umzustürzen und den reichsten König zu einem hülfesuchcndcn Flüchtling zu machen; die ministeriellen Dcputirtcn flohen oder verbargen sich; die Legiti misten, der Klerus, die Beamten der Provinzen, das Heer, Alle beeilten sich, die neue Staatsform anzuerkenncn; die Dynastie Orleans hatte keine Anhänger, keine Partei; ihre Herrschaft war auf Selbstsucht gegründet, darum fand ihr Fall keine Theilnahme, kein Mitleid. Selbst die beiden Prinzen, Aumale und Joinville, die sich bei dem Ausbruche der Revolution im Auslande bcsandcn, jener an der Spitze der Algerischen Armee, dieser als Mottensichrer im Mittelmeer, Machten keine Versuche, die Monarchie zu halten. Sie legten ihr Commando nieder und begaben sich ebenfalls nach England. Nun folgte eine schwere Uebergangszeit, in welcher politische Leidenschaften, Die Republik, anarchistische Ausschreitungen mit republikanischen Festlichkeiten abwcchselten und zugleich Arbeitsstockung und materielle Nothstände die ganze Thätigkeit der pro visorischen Regierung in Anspruch nahmen. Der Rausch der republikanischen Jubeltage mit ihren Freudenfesten und ihrer Fahnenweihe, und die Begeisterung