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II. Die Pariser Februarrevolution u. die zweite Republik. 299 Einen ähnlichen Sieg würde die Regierung auch in der Bankettfragc er- langt haben, hätte sie es allein mit der Kamincropposition zu thun gehabt. Stadtbezirk. Denn wie sehr anch die Häupter der Linken, ein Odilon Barrot, Garnier-Pages, Arago u. A. das Vcreinsrecht verfochten, wenn sic auch, trotz des Verbots, An stalten zu einem Reformbankett trafen, das am 22. Februar in der Nähe der Champs-Elysees stattfindcn sollte, und Einladungen an die Nationalgarde erließen, ohne bei dem Oberbefehlshaber die Erlaubniß einzuholcn: als die Regierung, nach Bekanntmachung eines von Marrast, dem Redacteur des National, verfaßten Programms über den Zug und die Festordnung, militärische Maßregeln traf und durch einen Polizeibefehl die Versammlung und das Festmahl „im Interesse der Ordnung" verbot, da schwankte die Opposition, stand zum großen Theil von dem Rcformbankctt ab und beschloß dafür, in der nächsten Sitzung einen Antrag zu stellen, daß das Ministerium wegen Verletzung der Verfassung in Anklage stand versetzt werde. „Ich wußte wohl", sagte Louis Philipp triumphirend, »daß ich nur Festigkeit zu zeigen brauchte, um sie zum Weichen zu bringen". Allein das Volk war bereits zu aufgeregt, als daß es sich durch das zag- hafte und schwankende Benehmen der Kammermitglieder und Festordner von den «Hums, beabsichtigten Willensäußerungen und Demonstrationen hätte abhalten lassen. Schaaren von Arbeitern und Blousenmännern, die Studenten, die Zöglinge der polytechnischen Schule, die kecke Gassenjugend der belebten Hauptstadt, durch zogen unter dem Rnfe: „Reform! Nieder mit Guizot!" die Straßen und Plätze, umstellten das Deputirtenhnus und verlangten die Anklage der Minister. Ihre Zahl mehrte sich von Stunde zu Stunde; das Linienmilitär war schonend, die Nationalgardc sympathisirte mit dem Volke, die Polizeimannschaft (Municipal- garde), bei den unteren Klassen sehr verhaßt, war der Menge nicht gewachsen; Barrikaden wurden in vielen Straßen errichtet und behauptet. Zwei Tage <22. 23. Februar) hatte der Kampf mit wachsender Erbitterung gedauert. 22^23. Febr. Die Nationalgarde, zum größten Theil liberal und reformatorisch gesinnt, war mehr und mehr auf die Seite des „Volks" getreten und hatte dadurch die regu lären Truppen vom energischen Einschreiten abgehalten. In den Tnilericn und im Palais Bourbon häuften sich die Bittschriften um Reform und Minister wechsel. Da entbot der König den früher« Minister Mole in die Tnilericn, entließ das Ministerium Guizot und versprach die Reform. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich gegen Abend diese Kunde und erzeugte unter dem aufgeregten Volke einen unermeßlichen Jubel. Unter Gesängen und Freudenrufen wogte die Menge durch die Straßen; die Barrikaden verschwanden in den westlichen Stadt- theilen; die Häuser wurden beleuchtet; man umarmte sich im Hochgefühl des Siegs. Aber die Männer der geheimen Gesellschaften und die von ihnen fort gerissenen Arbeiter waren mit diesem Ausgange nicht zufrieden; ihre Wünsche gingen weit über einen Cabinetswcchsel hinaus; noch standen viele Bewaffnete in den nordöstlichen Theilen der Hauptstadt, den Wohnorten der Arbeiter-