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II. Die Pariser Februarrevolution u. die zweite Republik. 297 und die Außenwelt immer mehr abschloh, der nur mit Leuten verkehrte, die mit ihm gleicher Meinung waren, der seine Krone nur noch dem „weil Bourbon" verdanken wollte, das „obschon Bourbon" ganz vergeßen hatte, war keine Sinnes änderung zu erwarten. Dem Minister Guizol wendete er nur darum sein ganzes Vertrauen zu, weil sich derselbe dem „unwandelbaren Gedanken" des Monarchen unbedingt fügte, und durch seine Beredsamkeit, seinen parlamentarischen Einfluß Ivie durch die Unbescholtenheit seines Charakters der geeignetste Mann schien, die Sache der Orleans'schcn Dynastie zu verfechten. Selbst für den Fall des Ablebens Louis Philipp's war keine hoffnungsvolle Aussicht vorhanden. Der Thronfolger war unmündig und der zum Regenten bestimmte Prinz von Nemours der Nation unsympathisch. Dazu ein Abgeordnetenhaus, das zum großen Theil aus Beamten zusammengesetzt war und im Rufe der Käuflichkeit stand. Gegen dieses richteten sich daher in erster Linie die Angriffe der liberalen Opposition und der Rcformfrennde. Nur durch Erneuerung der Volks-Repräsentation vermittelst einer Aus-D^Mform- dehnung des Wahlrechts konnte eine Aenderung und Besserung erzielt werden; nur wenn die Nation, oder doch der ganze Mittelstand, sich an der Deputirten- wahl betheiligte und dadurch eine Bestechung der Wühler oder der Gewählten unmöglich wurde, konnte die Kammer als der Ausdruck der Nationalgesinnung, als wahre Vertreterin des Volkes gelten. Darum wurde der Ruf nach einer Wahlreform immer lauter; alle Stände und Meinungen waren in diesem Punkte einig; Wahlreform war die Losung des Tages, die Standarte der Legitimisten, Coustitutionellen und Republikaner. Man übersah bei dieser Bewegung die Verschiedenheit der Motive. Denn während die Einen nur nach Erweiterung der Populären Clemente strebten, war das Ziel der Radicalen das allgemeine Wahl recht, uni die republikanischen und socialistischen Ideen auf den Thron zu heben. Uni dem Grundsatz der Wahlreform Oeffentlichkcit und Nachdruck zu verleihen und zugleich den Thatbestand ans Licht zu bringen, daß die dermalige Kammer- Mehrheit nicht der Ausdruck des Volks sei, ordneten die Männer der Bewegung in mehreren Städten Frankreichs Reform bau kette an, wobei häufig einige Abgeordnete der Linken, der radicalen wie der dynastischen Opposition zugegen waren und wo kühne Reden und Toaste die Gebrechen des herrschenden Regierungs systems schonungslos aufdeckten. Unter den eingeladenen Gästen erblickte man Männer wie Odilon Barrot und Duvergier de Hauranne, wie Thiers und Re- musat. Mit prophetischem Seherblick enthüllte Lamartine, der aus den Kreisen der Conservativcu zur Opposition übergegangen, bei einem solchen Festbankett in Macon die Zukunft in einer improvisirten Rede: „Wenn das Königthum sich in seiner constitutionellen Höhe vereinzelt, wenn es sich nicht mit dem Geiste und dem Interesse der Massen verkörpert, wenn es sich mit einer Wähleraristokratie umgibt, anstatt ganz Volk zu werden, wenn es, ohne offen dem Volkswillen entgegenzutreten, diesen Willen fälscht und unter dem Ramen des Einflusses eine