Volltext Seite (XML)
14 X Zwischen zwei Revolutionen. vor der französischen Revolution, wo kühne Geister alles Bestehende ihrer zer setzenden Skepsis unterwarfen, tauchten Vorschläge und Systeme zur Verbesse rung der menschlichen Gesellschaft, zur Begründung einer gerechteren und ver nünftigeren Wcltordnung auf. In einem Buche: „Grundgesetze der Natnr«, dessen Verfasser nicht, wie man lange glaubte, Diderot, sondern der Abbe Mo- rclley war, lagen alle Keime der späteren socialistischcn Doctrinen verborgen: Beseitigung des Sonder-Eigcnthums, Gemeinschaft der Güter, Arbeit für die Gcsammthcit, öffentliche Erziehung und unterschiedslose Gleichheit Aller, Ein- theilung der Nation nach Familien, Stämmen, Städten und Provinzen, ge meinsame Benutzung von Grund und Boden u. A. m. Alle diese und ähnliche Schriften, wie „die Prinzipien der Gesetzgebung" von Mably, einem Bruder Londillac's, der das Privateigcnthum für unvereinbar mit dem Begriff der bür gerlichen Gleichheit erklärte, waren Gewächse einer fruchtbaren ideenreichen Zeit, die nur eine ephemere Bedeutung hatten, Träume von einer platonischen Re publik zur Heilung eines kranken reformbedürftigen Jahrhunderts. Allein wie man in der Folge im politischen Leben die Rousscan'schen Grundsätze zu ver wirklichen suchte, so sollten auch im socialen die angeregten Fragen und Doctri nen nicht verloren gehen.. s<sARÄu' Die französische Revolution der neunziger Jahre war der Mntterschoß des modernen Socialismus und Communismus, der in Frankreich, dem Lande der Theorien und Systeme erwachsen, im Lauf der Jahre auch bei an dern Völkern Eingang fand. Und diese Systeme einer neuen socialen Wclt ordnung traten in der gährendcn Zeit aus der philosophischen Spekulation her aus und strebten nach praktischer Verwirklichung. Cs ist uns erinnerlich, wie in der Schrcckenszeit die Häupter der Pariser Commune dem Grundsätze „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" praktische Anwendung zu geben, durch das „Egalitäts prinzip" die Persönlichkeit als solche getrennt von dem Besitze zur Geltung zu bringen bestrebt waren (XIII, 901—905), wie unter der Herrschaft des Direkto riums durch Gracchus Babeuf und den Bund der „Gleichen" der Plan entworfen ward, Besitz und Vermögen zu theilen und eine Güterglcichhcit herbeizuführcn (XIII, 980 ff.). Denn wenn die Staatsgewalt das Eigenthum der privile- girten Stände einziehcn und zu allgemeinen Zwecken verwenden konnte, so war es nur ein folgerichtiger Schritt, den Grundsatz auf das Gcsammtcigcnthum auszudehnen. Aber in jenen fieberhaft erregten Jahren, wo Alles in Fluß und Gährung war, wo nur Saaten gestreut aber keine Ernten cingcthan werde» konnten, fanden solche und ähnliche Bcstrcbungcn und Chimären keinen Boden zum Wachsthum. Unter den Stürmen des wirklichen Lebens zerrannen alle unpraktischen Gebilde und Theorien. Erst als nach dem Untergange der Republik und nach dem Sturze der Napoleonischen Militärherrschaft eine län gere Friedenszcit anbrach, widmete man dcn socialen Zuständen größere Auf merksamkeit. Und da fand man denn, daß dic Wirklichkeit mit den hohen Prin-