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I. Die Vorboten (Italien). 283 von dcn Traumgcbildcn und Phantasien eines Giobctti, der eine neue katholische Welt ordnung aus der Schöpfcrhand des Papstes erwartete, wie von dcn republikanischen Idealen des jungen Italiens, das in citeln Verschwörungen und Aufständen seine Krast verzettelte und sein edles Blut opferte, wie soeben in Rimini, drang Azcglio aus eine Praktische Politik, auf vertrauensvolles Zusammenwirken der Fürsten und Völker Ita liens, auf Kräftigung des sittlichen Gefühls durch bessere Erziehung und auf Reformen im Kirchenstaat, darin hoffnungsvoller als sein ehrwürdiger hochgebildeter Freund Gino Capponi aus Florenz, der eine Besserung des geistlichen Regiments sür un möglich hielt, „da in einem schon verwesenden Körper sich die Heilmittel in Gist ver wandeln". Wie Balbo sicht auch d'Azeglio die Rettung Italiens im engen Anschluß an das picmontesische Fürstenhaus , die älteste italienische Dynastie. Diese Schriften, wozu auch noch die publicistischen Aufsätze des Grafen Terenzio Mamiani aus Pesaro zu rechnen sind, hatten eine große Wirkung aus die öffentliche Meinung und auf dcn Gang der politischen Anschauungen. Sie bewiesen, sagt Farini, daß der Mensch frei sinnig sein könne, ohne irreligiös zu sein, daß er das Vaterland lieben und sür dessen Bestes wirken könne, ohne die ewigen Grundsätze der Gerechtigkeit zu verletzen, oder sich in beständige Gefahren zu stürzen; daß er an die Wiedergeburt Italiens glauben könne, ohne die Vernunft zu verleugnen oder dem blinden Zufall zu vertrauen. Im Juni 1846 starb Papst Gregor XVI., ein Mann von einfacher, strenger Sitte, aber ein Feind der neuen politischen nnd religiösen Bildung und ohne Sorgfalt für die Wohlfahrt seines Staats und das Glück der Völker. Ihm folgte in rüstigem Manncsaltcr Mastai Ferretti als Pius IX., ein Mann desP'usix^ Fortschritts, zu einer Zeit, da ein frischer nationaler Luftzug durch das Apen ninenland wehte, da Schriftsteller wie Gioberti, Balbo, d'Azeglio die Hoffnung aussprachen, der heilige Vater werde in Zukunft die Führerschaft der volksthüm- lichen patriotischen Unabhängigkeilsbewcgungen übernehmen, um, wie einst die großen Päpste des Mittelalters in ihren Kämpfen mit den deutschen Kaisern, das Primat Italiens dem heiligen Stuhle zurückzucrobern. Der neue Kirchcn- fürst, von beweglicher Natur und empfänglicher Seele, wurde durch dcn Enthu siasmus des römischen Volks einerseits, dnrch den Gegensatz, der sich wider ihn regte, anderseits, „zum Gefühle einer göttlichen Bestimmung als Reformator und Retter des Kirchenstaats erhoben". Vertrauensvoll ließ er sich von den schmeichelnden Wogen der Volksgunst emportragen. Vier Wochen nach seiner Inthronisation gab er durch ein Amnestiedccret allen wegen politischer Vergehen io. 2un>84«. Gefangenen und Verbannten die Freiheit und frühere Rechtsstellung zurück. Seine Milde und Leutseligkeit gewann ihm die Herzen des Volks; seine raschen Reformen erweckten kühne Hoffnungen. „Er begann die Ersparnisse am eigenen Haushalte, gestattete der Presse eine freiere Bewegung, verstärkte die Vorgefundenen Commissionen für Gesetzbücher und Gerichtsverfahren mit Män nern des öffentlichen Vertrauens, genehmigte den Bau von Eisenbahnen, öffnete den Laien den Weg zu höhcrn Staatsämtern, beschloß eine Besteuerung der Klöster des Kirchenstaats, -berief aus den Provinzen erwählte Notablen zu seinem Staatsrathe, gab der Stadt Rom eine freisinnige Municipalverfassung und traf