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I. Die Vorboten Italien). 281 brachten Trübsal und Trauer über einzelne Orte und Familien; aber sie hielten die Geister wach und dienten als Vorschule für künftige günstigere Zeiten. Bei der allgcuicincn Aufregung, die in den vierziger Jahren alle europäischen Staaten durchzog, war vorauszuschen, daß bald irgend ein Ercigniß cintretcu würde, das auch auf Italien rückwirkcn könnte. Dann wollte man nicht unvorbereitet und wehrlos erfunden werden. Vor Allem war der tragische Ausgang der Brüder Bandiera, der hochherzigen Söhne eines österreichischen Admirals, ein Ercigniß, von dem sogleich die Rede sein wird, von nachhaltiger Wirkung. Einer politischen Partei, die mit solcher Todesverachtung eine Schilderhebung wagte, konnte die schwache päpstliche und neapolitanische Regierung nicht bcikommen; die abgeschla genen Köpfe der Schlange wurden durch neue ersetzt und kein Hercules war zur Bändigung vorhanden. Gleichzeitig traten geistige und literarische Bestrebungen zu Tage, die, wenn auch frei von den radikalen Umsturztcndenzen des „jungen Italiens", dennoch demselben national-politischen Ziele zustrebten, einem freien nationalen Einheitsstaat im Bunde mit der römischen Kirche. Es wurde schon oben (S. 31) auf die Wechselbeziehungen zwischen der katho-D->e mu- lisch-politischen Opposition Frankreichs und Ztaliens hingcwiesen. Mehrere als Mär- ihrer des Despotismus gefeierte Namen, wie Silvio Pellico, waren zugleich feurige ^r. Anhänger und Propheten des Papstthums. Wenn die früheren patriotischen Geheim bünde als „Freimaurer" verdächtigt wurden und das Mißtrauen und die Abneigung der Gläubigen auf sich luden, so traten ihnen nunmehr Kräfte und Bestrebungen zur Seite, die das katholische Bewußtsein des Bölkes nicht nur nicht verletzten, sondern aufstacheltcn und stärkten. Und was für die künftige Entwickelung der Dinge von Bedeutung werden mußte, die Hauptträger dieser neuen Ideen lebten und wirkten in Piemont, das bisher als das italienische Böotien gegolten hatte. Schon der Philosoph Rosmini aus Rovcredo, der Begründer der Genossenschaft der „Brüder und Schwe- R-emmi stern der Liebe", ein Fürsprecher eines reformatorischen Kirchcnthums im Gegensatz zu dem Jesuitismus, stand mit dem sardinischen Königshause in Beziehung; aber das eigentliche Haupt der neuen patriotisch-katholischen Doctrin war Vincenzo Gioberti aus Turin, ein fruchtbarer philosophisch-politischer Schriftsteller, der bald wegen Theil- ' nähme am „jungen Italien" als geächteter Flüchtling in Paris und Brüssel ein elendes Verbannungsleben führte, bald als Abgeordneter und Staatsmann in seiner Heimath einflußreiche Stellungen einnahm. Unter seinen zahlreichen Schriften, die er meistens im Exil verfaßte, erregte zuerst das Buch „Del Sopranaturale" einiges Aussehen. Zn demselben suchte er zu beweisen, „daß die moderne Civilisation dahin gerichtet sei, in der Ucbergabe aller socialen Functionen das Prinzip der Wahl statt das der Erbfolge geltend zu machen, und daß darauf die wahre Demokratie beruhe". Was Gioberti aber zum eigentlichen Parteiführer der neuen nationalen und reformatorisch-katholischen Richtung machte, war das Buch „Del Primats morale e civile degli Ztaliani". Zn diesem viclgescicrtcn und weitverbreiteten Werke ist der Grundgedanke durchgcsührt, daß die Wiederherstellung der Größe und Macht Ztaliens nur im Bunde mit dem Papst- thum erzielt werden könne; daß unter der Leitung Roms, „der Personifikation des civiiistrenden und harmonisirenden Prinzips und Vermögens" und einer regenerirten Hierarchie die Geschicke Italiens sich erfüllen würden, das dreifache Strebeziel: natio nale Einheit, Unabhängigkeit und bürgerliche Freiheit erreicht werden könnte. Die beiden ersten, Einheit und Unabhängigkeit, könne der Papst dadurch schaffen, daß er an