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274 Zwischen zwei Revolutionen. liebe für altrussische Sagen, Geschichten und Volkslieder, von denen um dieselbe M mehrere Sammlungen veranstaltet wurden, erhöhte das Interesse für die vaterländisch' Heldcnzeit. Auch Puschkin'S übrige Erzählungen sowohl in Versen als in ungclmw dener Rede, wie „Die Räuberbrüder", „Die Quelle von Baktschisarai", ein orientali sches Haremsbild aus der Krim, „Der Gefangene im Kaukasus", „Die Zigeuner' das düstere Familienstück „Poltawa" mit der heroischen Gestalt des schrecklichen Ko sakenhetman Mazeppa u. a. bewegen sich auf hcimathlichcm Boden. „Die Haupt' mannstochter" ist eine reizende Novelle aus der „Geschichte der Verschwörung Pugai- schcff's", welche Episode der russischen Geschichte Puschkin auch historiographist behandelt hat. Mit Puschkin hatte sein Verehrer Mich. Lermontow das wcchselvollc Lebens' geschick und den tragischen Tod im Zweikampf in der Blüthc der Jahre gemein. Ein- Klag- und Racheode auf den Tod des Gefallenen hatte eine Verbannung des jungen streb samen Freundes nach dein Kaukasus zur Folge. Ein Dichter von tiefer subjcciivcl Empfindung und Gefühlswärme, versenkte sich nun Lermontow mit ganzer Seele und Leidenschaft in die großartige Gebirgswclt, die er während einer mehrjährigen Verban nung kennen und lieben lernte, und zog aus dem wildromantischen Natur- und Men schenleben jener fernen fremden Regionen den Stoff für seine genialsten Schöpfungen Auch Lermontow trug wie Puschkin den pessimistischen Weltschmerz Byron's in seiner Seele und gab demselben Ausdruck in seinen: interessanten Roman: „Der Held unserer Zeit. Kaukasische Lebensbilder", ein Werk voll tiefer Empfindungen und Herzcnö- ergießungen, bei dem der Contrast zwischen den großartigen Natureindrücken und der Selbstqual und Gcmüthszcrriffenheit des Helden aus der modernen Gesellschaft ergrei send und erschütternd wirkt. Das Gefühl, daß in der Mcnschenwelt AllcS verkehrt eitel und nichtig sei, daß das Leben keinen Werth und Aufschwung habe, zieht wie ci» dämonischer Hauch durch die moderne Dichterschule Rußlands. Alle Genüsse sind mö momentane Affecte einer verwöhnten, blasirtcn Seele ohne Tiefe und Dauer. M trostlose pessimistische und nihilistische Stimmung ist der Grundton aller Reflexion!» und Selbstbetrachtungen, die in einer kunstreichen Anatomie des innern Menschenleben^ mit frivoler Offenherzigkeit und rafsinirter Spitzfindigkeit analysirt und zergliedert werden- Neben dem Roman hat Lermontow auch in vielen lyrischen Gedichten diel' Resignation der Verzweiflung und seinen Lebensüberdruß zum Ausdruck gebracht. bittere Gedicht „Dankbarkeit", die reflexive Selbstschau in „Duma" u. A. tragen den selben Charakter des Trübsinns, der Weltvcrachtung, der Zerrissenheit an sich, wie,M Held unserer Zeit". Enthält diese Seelen- und Gcfühlsmalerei Anklänge an die franzö sische Sociallitcratur jener Tage, so erinnert die farbenprächtige Schilderung des Natur- und Völkerlebcns des Kaukasus mit seinen mächtigen Eindrücken und seiner ursprüng lichen Kraft an den Schwung und die Phantasie der Byron-Shcllcy'schcn Poesie. „Dü Majestät des Elbrus, des Königs unter jenen Bcrgricscn, und die Verwegenheit du Tschcrkcssenhäupter, wilde Schönheit, Gluth des Orients, das Leben in Kampf uns Liebe: das sind die Grundtöne, welche die Dichtungen Lermontow's durchziehen" Ein des Landes und der Bewohner jener großartigen Gebirgswclt kundiger deutsche Dichter, Fr. Badenstedt, hat die epischen Erzählungen des russischen Sängers, in dew» sowohl die landschaftlichen Erscheinungen als das Völkerlebcn in seiner ursprüngliche Naturkraft in Einzelbildern dargcstellt sind, in verständnißvollcn Uebersetzungcn dU deutschen Lcscrwclt zugänglich gemacht. Alle diese erzählenden Gedichte bewegen si^ auf einem dem Abendlande wenig bekannten Boden und in einer fremdartigen von du Tünche der Civilisation noch nicht berührten Gedanken - und Gefühlswelt, sind abU ausgezeichnet durch Schwung der Phantasie und durch Adel in Sprache und Darsteb