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272 Zwischen zwei Revolutionen. für das Vaterländische, für die heimische Sprache, für die griechisch-orthodoxe Religion, für das slavische Stammgefühl geweckt, so galt cs jetzt in der Geschieht' schreibung, in der Sprachbildung, in der Dichtkunst auf dem eiugcschlagencn Wege fortzuschrcitcn. Der Petersburger Professor Ustrialow suchte in seiner „Ge> schichte Rußlands", die in allen russischen Untcrrichtsanstaltcn zur Einführung kam, die Ansicht zu begründen, daß das slavo-rnssische Reich durch die Gunst eines glücklichen Geschicks zu der Einheit und nationalen Conformität in Race, Religion, Sprache und Sitten gelangt sei, welche allein die Größe und Stärke einer Nation zu begründen vermöchte, daß somit das heilige Rußland von der göttlichen Vorsehung zu einer wcltbeherrschcnden Mission berufen sei. Auch die historiographische und publicistischc Thätigkcit des productiven Mich. Pogodin s-h 1875), des gelehrten Kenners des russischen Altcrthnms, hatte patriotische und panslavistische Zwecke im Auge, so sehr er dabei auch bemüht war, die Lite' raturschätze des Auslandes durch Ncbcrsctzungeu seinen Landsleuten zugänglich zu machen. Denn die Einführung fremder Güter konnte ja nur beitragen, den siegreichen Gang der russischen Geschichte von der Barbarei und völkerschaftlichen Zersplitterung zur nationalen Einheit, Kraft und Größe um so deutlicher zu veranschaulichen, den eigenen Triumphzug um so glänzender erscheinen zu lassen- Doch trat neben der apologetischen Richtung auch eine polemisch-satirische hervor- Durch die gestimmte moderne Literatur Rußlands zieht ein scharfer satirischer Luftzug gegen das Bestehende, Alte, Fremde. Es sollte Naum geschaffen werden für die neue volksthümliche Culturbildung. ^umsEwung Karamsin's Hauptvcrdicnst lag auf dem sprachlichen Gebiete: Er war der erste "Ät-rawr" Schriftsteller, welcher das russische Idiom befreite von der steifen sogenannten elastischen Construction und Redeweise, die im achtzehnten Jahrhundert durch den Dichter und Poly' histor Lomonossow (ch 1765) und seinen Zeitgenossen, den Dramatiker Sumarokol« s-f- 1777) zur Herrschaft gelangt war, der erste, der die Schriftsprache der lebendigen natürlichen Volks- und Umgangssprache nnnäherte. Dadurch wurde Karamsin für die gcsammte moderne Cultur- und Literaturgeschichte ebenso epochemachend wie für die Hi' storiographie. Der Fabeldichter Krylow (1768—1844), eben so bekannt und beliebt im russischen Volke wie Lafontaine bei den Franzosen, und der Lyriker Schukowski (1783—1852), dessen schwungvolle Soldatenlieder, „Der Sänger im Lager der ruf' fischen Krieger", im Munde des Volkes lebten, gehörten zu dem Freundeskreis Karam' sin's. Jetzt erst wurden die literarischen Erzeugnisse, die bisher „in akademische Schnür stiefeln gezwängt", nur für die Hof- und Adelskreise berechnet waren, zum Gemeingut der Nation. Jetzt erst konnte eine poetische Literatur entstehen, die rasch ihren Weg ia alle gebildeten Stände fand und das Geistes- und Seelenleben des russischen Volkes au§ den eigenen Schätzen bereicherte. Wenn noch selbst bei den volksthümlichen Dichter» der vorhergehenden Jahrzehnte, einem Petrow (ff 1799), einem Dershawi» (ff 1816), die ihre Poesie hauptsächlich zur Verherrlichung der großen Katharina an' wandten, die Abhängigkeit vom Auslande, insbesondere von Frankreich und England deutlich hervortrat, so erhielt nunmehr das russische Volk einen echt nationalen Dichte PuWinin Alex. Puschkin, dessen Poesien das russische Leben in allen seinen Erscheinung^ ns"-i8L>. abspiegelten, allen Gefühlen und Gemüthsstimmungen, dem Schmerz und der Freudl,