Volltext Seite (XML)
n. Gcschichtslcben in den Einzelstaatcn (Oesterreich). 253 lehmig, welche die Leidenschaft hcrausfordcrte; der Haß gegen die Träger desselben gestaltete sich zu einer rückhaltlosen Empfindung. Zu dem dringenden Verlangen nach einer Acnderung der Zustände führte nicht mehr allein das Verstandcsintercsse, dieser Wunsch erfüllte jede Nervenfaser und brach sich auf jedem möglichen Wege Bahn." Zwischen den staatlichen Einrichtungen und den Empfindungen und Bedürfnissen der gebildeten Gesellschaft erhob sich ein immer größerer Zwiespalt, und eine lang zurückgehaltenc geistige Bewegung rang nach Entfaltung und Ausdruck. Durch die ganze österreichische Literatur ging der oppositionelle Zug und nur wer sich in Widerspruch mit dem „System" fehle, schlug populäre Saiten an und fand Beifall. Was vermochten die ärmlichen Künste der Censur gegen den allgemeinen Geist des Widerspruchs! 3e maßloser und ungeheuerlicher die Censur und Büchcrpolizei geworden, desto mehr verfehlte sie ihren Zweck. Der literarische Schmuggel wurde in groß artigstem Maßstab, oft genug mit Wissen der Zollbehörden, betrieben. Man griff überhaupt nur noch nach der Lesckost, welche die Polizei verboten hatte; Mas die Censur passiren ließ, reizte niemanden mehr. Im Auslände wurde eine förmliche literarische Industrie gegründet, welche die österreichischen Leser mit verbotenen Früchten versah. Aus der reichen publicistischm Flugschriftcnliteratur, (welche den Geist der Op position wachricf und nährte, erregten ganz besonderes Aufsehen die Schriften des Deutschböhmcn Schuselka und das Buch: „Oesterreich und dessen Zukunft"; als Ver fasser wurde bald ein Mitglied des hohen Beamtcnthums und Adels, Freiherr von An- drian-Warburg, bekannt, und er sprach nur die allgemeine Ansicht aus, wenn er sein Werk mit den Worten schloß: „So wie cs seht ist, kann cs in Oesterreich nicht bleiben, kann es kein Menschenalter mehr bleiben; von dieser Uebcrzcugung ist daselbst Alles, die Regierten sowohl als die Regierer durchdrungen, und diese einzige Thatsache würde hinreichen, um die Umwälzung hcrbeizuführcn, welche sicherlich und zwar binnen kurzer Zeit erfolgen muß". Er hatte richtig gesehen; das „vormärzliche" Oesterreich ging rasch seinem Untergang entgegen. Den Geist der Neuerungssucht, des Widerspruchs, der Unzufriedenheit,^^ den Drang nach geistiger Freiheit und Bildung vermochte auch die Kirche nicht G-mu-hMt. mehr zu bezwingen. Gerade gegen sie, die das Erzichungswescn zum größten Theil in Händen hatte, richtete ja die Opposition ihre schärfsten Pfeile. Den kirchlichen Uebcrgriffcn auf politisches Gebiet, der Beschränkung seiner abso luten Herrscherfülle durch ein clericales Nebenrcgiment hatte, wie uns bekannt lXIV, 713), Kaiser Franz stets starken Widerstand geleistet; er wollte seine Machtvollkommenheit selbst von dieser Seite nicht antasten lassen. Um so be reitwilliger hatte er der Priesterschaft die Schule ausgeliefcrt, schon um der Wohlfeilheit willen, und wenn die Staatsregicrung in der Ertödtung und Er schlaffung aller freieren und selbständigeren Geisteskräfte ihre wichtigste Aufgabe erblickte, so stand ihr darin der katholische Clerus, insbesondere die Mönchs orden, durch die mechanische Art der Abrichtung der Heranwachsenden Ge-