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II. Geschichtsleben in den Einzelstaaten (Oesterreich). ,251 aristokratischen Partei unter dem zum Generaladjutantcn erhobenen Grafen Clam-Martmitz starke Differenzen. Es zeigte sich jetzt, wie sehr die ganze ver rostete Staatsmaschinc ins Stocken gcrathcn mußte, nachdem der persönliche Wille, der sie bisher gelenkt, dahingegangcn war. In der allgemeinen Rath- losigkcit und Verwirrung verstand man sich selbst dazu, den Zaren Ricolaus, als den Schirmherr» der conservativ-monarchischen Prinzipien, zu Rathe zu ziehen und eine Zusammenkunft der beiden Kaiser zu Teplitz zu veranstalten, s-rwr. loss. Eine Beseitigung der alten Rathgeber war von vornherein ausgeschlossen, schon weil sie den Gedanken hätte aufkommen lassen, daß auch eine Aendcrung des Systems beabsichtigt sei. Metternich galt als Leiter der auswärtigen Politik für ganz unersetzlich; dem Kriegswesen stand Graf Clam-Martinitz vor und er warb sich um dessen Reorganisation große Verdienste; an der Spitze der innern Verwaltung stand Graf Kolowrat, an der Spitze der Polizei dreißig Jahre lang Graf Sedlnitzki. Von der kaiserlichen Familie hatte der Erzherzog Ludwig, seinem Bruder, dem verstorbenen Kaiser an Gesinnungen und Neigungen sehr ähnlich, den meisten Einfluß und das hervortretcndste Bestreben, sich in die Staatsgeschäfte zu mischen, ein Fürst, der in jeder Reform ein gefährliches Zu geständnis; an die Revolution erblickte. Es wurde jetzt als eine Art von Regent schaft die sog. Staatsconferenz eingesetzt, bestehend aus zwei Erzherzogen, Metternich und Kolowrat, welche über ein Jahrzehnt die oberste Regierungsstelle bildete und unter den verschiedenen Behörden ein gemeinsames Zusammenwirken Herstellen sollte, aber ohne feste Compctenz und einheitlichen Willen nur die Verwirrung, Complicirtheit und Schwerfälligkeit der Behördenorganisation vermehrte. „Das Alter", sagt A. Springer, „war an der äußeren Erscheinung des Staats- kanzlers großmüthig schonend vorübcrgegangcn, hatte, mit Ausnahme einer harten Taubheit, kein auffallendes Gebrechen über ihn gebracht. Er bewahrte noch immer die gewinnenden eleganten Formen, das natürliche vornehme Wesen, und da beinahe Jedermann an ihn mit dem Vorurtheil herantrat, einen großen Staatsmann zu be grüßen, so galt er auch für einen solchen. Von seiner Geschmeidigkeit wußten schon ältere Generationen zu erzählen, er sollte aber jetzt auch toleranter, fremden Anschau ungen zugänglicher geworden sein. Und in der That, er widersprach selten, weil er die Einreden nicht hörte, er beantwortete entgegengesetzte Meinungen mit achtungs vollem Stillschweigen, weil er nur den einmal ängesponnenen Gesprächssaden mecha nisch fortsetzen konnte. Niemals ein scharfer Dialektiker, verstand er jetzt vollends nur noch in Monologen die Unterhaltung zu führen. Mitglieder des Hofes versicherten, die Lieblingslectüre des Fürsten wären unfreiwillig komische Amtserlasse, lächerliche Petitionen, durch Sprachschnitzer pikante Actcnstücke, an denen namentlich in Böhmen und Ungarn niemals Mangel herrschte. Gewiß ist, daß sic eifrig für ihn gesammelt und selbst von Erzherzogen, um den Mentor bei guter Laune zu erhalten, an ihn ge sendet wurden. Gewiß ist ferner, daß er seit 1840 nur noch Repräsentationskünste übte, die eigentliche Arbeitskraft verloren hatte, jede Anstrengung und Aufregung sorg fältig vermied".