II. Gcschichtslcben in den Einzelstaatcn (Deutschland). 239 Bildung von Bürgcrgarden, stürmischen Gesuchen um Einberufung der Stände. Der Landtag, nach den drei althcssischen Curien, wurde denn auch einberufen und es kam eine neue Verfassung zu Stande, die den modernen konstitutionellen s. Jan. rsri. Forderungen weite Rechnung trug und durch das Einkammersystem sich vor an dern größeren Bundesstaaten Vortheilhaft auszcichnete. Als die Rückkehr der Gräfin Reichenbach (Lessonitz) neue Unruhen erregte, schlug der Kurfürst Wil helm II. seine Residenz in Hanau und Franksurt aus und setzte den Kurprinzen Friedrich Wilhelm I. zum Mitregentcn ein, was im Volke eine Befriedi-A Stpibr. gung hervorrief, die sich bald genug als sehr wenig gerechtfertigt erwies. Kur fürst Wilhelm II. vermählte sich nach dem Tode der volksbeliebten Kurfürstin Auguste morganatisch mit der Gräfin Reichenbach und nach deren baldigem Tode mit der Tochter des Kasseler Stadtcommandanten, Karoline von Berlepsch (Baronin von Bergen). Am 20. November 1847 starb er in Frankfurt. Die in der kurfürstlichen Familie herkömmlichen häuslichen Zerrüttungen trübten auch die neue Regierung. Der Kurprinz vermählte sich morganatisch mit der geschie denen Frau eines preußischen Offiziers, die den Titel einer Gräfin von Schaum burg und später einer Fürstin von Hanau erhielt, deren Söhne aber nicht suc- essionsberechtigt waren. Auch sonst schritt der Kurprinz-Mitregent auf der Bahn des Vaters fort, namentlich seitdem im Jahr 1832 Hassenpflug an die Spitze der Verwaltung trat, ein für die Geschicke des Kurstaats verhängnißvoller unseliger Mann. Fortan nahm der Streit zwischen Regierung und Ständen eine Schärfe an, die jeden Fort gang gesetzgeberischer Arbeiten hemmte und das Land der tiefsten Zerrüttung ent gegenführte. Die kurhcssische Verfassung war an sich so freisinnig wie nur eine in Deutschland, aber gegenüber einem despotischen Fürsten und einem gcwaltthä- tigen rechtsverletzcnden Minister hielt sie nicht Stand. Hassenpflug arbeitete erfolgreich daran, die Volksvertretung herabzuwürdigen, die Presse zu unter drücken, die Beamten zu servilen Werkzeugen zu erniedrigen, die Rechtspflege zu beugen, thatsächlich den reinen Absolutismus durchzuführen, seiner Herrschsucht und Geldgier in vollem Maße stöhnend. Die Verfassung wurde zu unerhörten Jnterpretalionskunststücken mißbraucht, jedes formale Recht bis zur äußersten Grenze ausgenützt oder auch völlig verdreht, durch Kammerauflösungen, Be- amtenmnßregclungen, kleinliche Chicanen der ständischen Opposition entgegen gearbeitet; zwei Anklagen gegen Hassenpflug wegen Verfassungsverletzung wur den vom Gericht abgewiesen. Dabei wurde der starrste Pietismus gefördert, selbst das Jubelfest der dreihundertjührigcn Stiftung des Schmalkaldischen Bundes verboten. Auch in kleinlichen und lächerlichen Aeußerlichkeiten wurde das Muster der früheren Regierungen nachgeahmt, so in dem Verbot des Tra gens von Schnurrbärten für alle Civilbeamte u. dgl. Als'Hasscnpflug aus Ursachen, die wenig bekannt geworden sind, hauptsächlich aber in rein persön- bchen Zerwürfnissen mit dem Prinzregenten bestanden, plötzlich seinen Abschied Juvtssr.