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II Gcschichtslebcn in den Einzclstaatcn (Deutschland). 219 vom freien deutschen Rhein, das wie ein Sturm durch das Land brauste und Gefühle wachrief, die einen wohlthucndcn Gegensatz zu dem vaterlandslosen Weltbürgcrthum und dem seichten Radicalismus der dreißiger Jahre bildeten. Es war dasselbe Jahr, da auch das vicrhundertjährigc Erinncrungsfest an die Erfindung der Buchdruckcrkunst mit großer Begeisterung in einer Reihe deut scher Städte begangen und zu politisch liberalen Demonstrationen benutzt wurde; freilich stand damit die gedrückte Lage der Presse in einem grellen Widerspruch und verschiedene Regierungen sahen sich auch veranlaßt, ein so bedenkliches Fest zu verbieten. Selbst durch die wissenschaftlichen Wanderversammlungen, die seit jener Zeit in Blüthe kamen, ging ein politisch-nationaler Zug, durch die Con- gresse der Naturforscher, der Philologen, der Germanisten; die Grundsteinlegung für den Ausbau des Kölner Domes, des herrlichsten kirchlichen Denkmals Skpu>r. E. des Mittelalters, gab Anlaß zu einer hochpatriotischen Fcstfeicr, welcher der König von Preußen im Kreise mehrerer deutschen Fürsten anwohnte. Das stolze Bauwerk, das von da an erfolgreich seiner Vollendung entgcgenstrebte, sollte werden ein Symbol der nationalen Einheit und des Brudersinns aller Deut schen, wie der König in einer Ansprache hervorhob. Der Trinkspruch des als Gast anwesenden Erzherzogs Johann im Brühler Schloß mit der angeblichen Schlußphrase: „Kein Preußen, kein Oesterreich, nur ein einziges Deutschland, fest und stark wie seine Berge!" zündete begeisternd in der ganzen Nation und trug dem Erzherzog eine unermeßliche Popularität ein, die ihre Wirkung nach mals in der Paulskirche äußerte. Ein frischer Zug nationaler Begeisterung erfüllte das deutsche Volk, als die schleswig-holsteinische Frage, das alte Denkmal deutscher Ohnmacht nnd Er-^h°memi. niedrigung, in den Vordergrund trat. Unmittelbar nach der Julirevolution Mo. schon hatte der Landvogt Lornsen auf der Insel Sylt dem Verlangen der Herzogthümer nach einer sie beide umschlingenden Repräsentativverfassung und einer bloßen Personalunion mit dem Königreich öffentlichen Ausdruck gegeben, wofür er mit Amtsentseßung und Festungshaft büßte. Mit dem Erwachen eines regeren politischen Lebens, namentlich auch mit der Einführung provinzialstän discher Verfassungen, waren die Gegensätze zwischen Däncnthum und Deutsch- M4. thum schroffer hcrvorgctreten. Die Versuche zur Einführung der dänischen Amtssprache im Verwaltungs- und Gerichtswesen erregten großen Unmuth; ein Antrag der jütischen Stände auf Bereinigung Schleswigs mit Jütland deutete auf das Bestreben hin, die Jahrhunderte lang bestehende Verbindung der Her- zogthümer zu lösen, Schleswig seines Volksthums zu berauben nnd cs als dä nische Provinz dem Gesammtreich cinzuvcrlciben. Schleswig war in den schlaffen dreißiger Jahren schon fast aufgcgcben; selbst die deutsche Partei der „Neuhol steiner" unter Olshausen war bereit, das nördliche Herzogthum prciszugeben, und begegnete sich dabei mit der Partei der „Eiderdänen", die allenfalls Holstein eine selbständigere Stellung einräumen, Schleswig aber mit dem Königreich in