II Gcschichtsleben in den Einzelstaaten (Deutschland). 211 wurde die Allianz der Ostmächte in den Fragen der großen europäischen Politik wie in dem System der inner» Reaction befestigt. Das Lager non Kalisch, U?"'" wo Kaiser Nicolaus die Garanten der polnischen Nationalität, Oesterreich und Preußen, zu einer Siegesfeier über dieses niedergetretene Volk einlud, bezeichnete den Höhepunkt der russischen Herrschaft über die deutschen Großmächte. Der König von Preußen und Erzherzog Johann sanden sich persönlich in Kalisch ein, um an dem rohen moskowitischen Prunkfcst theilzunehmen und das nbcrmüthige Auftreten der russischen Offiziere mit anzusehen. Immer mehr wurde es in den höfischen und militärischen Kreisen Berlins zum Grundsatz, daß cs außerhalb der russischen Allianz kein Heil gebe; der mächtige Zar Nicolaus wurde als Schutzherr Preußens und der conservativen Interessen, die Brüderschaft beider Heere und beider Staaten als unumstößliche Grundlage der Politik angesehen; das preußische Heer galt fast als eine russische Avantgarde; die Freundschaft für Rußland wurde zum Erkennungszeichen wahrhaft conservativer und royalisti scher Gesinnung in Preußen. Dieses demüthigende Vcrhältniß, das bis in die vierziger und fünfziger Jahre hinein fortdauertc, trug nicht wenig zur Abwendung der deutschen Nation von dem preußischen Staat bei, der sich zum Schleppträger einer despotischen halbbarbarischen Macht hcrgab. Wer sich ein Bild davon machen will, wie weit damals und noch lange nachher in den höfischen und mili tärischen Kreisen Berlins die Bewunderung und Verherrlichung des Russenthums ging, wie maßlos die Schwärmerei für diesen Hort gegen die Revolution ge trieben wurde, der lese die unlängst erschienenen Memoiren des preußischen Hof vorlesers und Soldatenschriftstcllers L. Schneider. Dabei liebäugelte die Pe tersburger Regierung stets mit den deutschen Klein- und Mittelstaaten und konnte sogar, um die öffentliche Meinung Deutschlands gegen Preußen und Oesterreich aufzustacheln, für den russischen Einfluß Propaganda zu machen und den Particularismus zu nähren, freisinnige Allüren annehmen, so in dem viel besprochenen russisch-officiösen Buch „Die europäische Pentarchie", und in der Denkschrift „Ueber die Gegenwart und Zukunft Deutschlands" an die kleineren deutschen Höfe, worin diese vor den preußisch - österreichischen Vergrößerungs- Plänen gewarnt werden. Durch die Beschlüsse der Wiener Conferenz wurde das constitutionelle Das -onstiw. Wesen in den deutschen Staaten verkümmert und herabgcwürdigt, wie wir bald im Einzelnen erfahren werden. Die Minister führten ihr Amt fort, unbeküm- wert ob die Kammermchrheit sich gegen sie erklärte; kam ein mißfälliger Antrag mit einiger Aussicht auf Erfolg vor, so wurden die Kammern aufgelöst und vermittelst Wahlbeherrschung, Urlaubsverweigerungen, Bestechung eine willfäh rigere gebildet. In Baiern dehnte man die Staatsdicnereigenschaft auf Advo- caten, Aerzte und Magistratsbeamte aus, die daher nur mit höherer Erlaubniß ihre Repräsentantenpflicht ausüben durften. In Kurhessen bestritt man den Ständen die Befugniß, aus dem Gesammtvolke zu wählen, und verweigerte, 14*