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II. Gcschichtsleben in den Einzclstaatcn (Deutschland). 203 und politischer Umgestaltung. Die flüchtigen Emigranten und Agitatoren aus Polen wurden mit überschwänglichen Huldigungen ausgenommen und predigten allenthalben Aufruhr und Empörung. Praktische staatsmännische Forderungen waren dieser dumpfen gährcndcn Bewegung ebenso fremd wie ein tieferes natio nales Bewußtsein. Dem Liberalismus und dem ihn überflügelnden Radikalis mus waren über seinen abstracten Freiheitsbegriffen und seiner weltbürgerlichen Schwärmerei die einfachen nationalen Ideen und die Forderungen einer gesunden realen patriotischen Politik mehr und mehr abhanden gekommen. In diesen Jahren befestigte sich Preußens Stellung in Deutschland durch die fortschreitende Zolleinigung in einer Weise und cs trat der deutsche Beruf dieses Staates so klar hervor, daß die ganze Verblendung der politischen Begriffe jener Zeit dazu gehörte, um sich ein Deutschland ohne Preußen und im Widerstreit mit demselben vorzustellen zu können, und doch verschloß der deutsche Liberalismus, nament lich im Süden, die Augen vor der hohen nationalen und materiellen Bedeutung jener wirthschaftlichcn Einigung. Der preußische Absolutismus war ein Schreck gespenst, das alle ruhigen Erwägungen verscheuchte. Während die liberalen Redehelden der süddeutschen Kammern den preußischen Einigungsbestrebungen ebenso hartnäckigen als kurzsichtigen Widerstand entgegensetzten, gründete man in den überspannten Kreisen des Radicalismus ernstliche Hoffnungen auf eine demokratische Republik Polen oder auf französische Unterstützung, und fühlte sich verlaufenen Polen, Franzosen und Italienern näher verwandt, als den nüchter neren kälteren Preußen, die man kaum als echte Deutsche gelten lassen wollte. Den trüben Dunstkreis dieses süddeutschen particularistischen Liberalismus, der sich im Besitze seiner constitutioncllen Staatsformen unendlich über andere deutsche „Vaterländer" erhaben fühlte, durchbrach mächtig der Schwabe Paul Pfizer, der in seinem „Briefwechsel zweier Deutschen" (1831) wieder einmal das natio nale Banner aufpflanzte und den verirrten Köpfen die einfachen Wahrheiten einer gesunden Entwickelung der deutschen Dinge verhielt. Am lautesten äußerte sich der Liberalismus am Rhein, in Baden, Hessen Di-vorgäng- und besonders in Rheinbaiern, wo die alten Erinnerungen au die Revolutions-v"ai" Das' zeit, die mit manchem Leid auch Segen und Glück gebracht, wieder auftauchtcn. Hier wirkte vr. Wirth aus Hof, ein feuriger, charakterfester, wenngleich in Ucbcrspannnng und wunderlichen Ideen befangener Mann, in Verbindung init mehreren gleichgesinnten Advocate», Beamten, Literaten und Bürgern durch Zeitungen („die deutsche Tribüne"), Flugschriften, Reden und Vereine für konsti tutionelles Staatswesen, für Volksfreiheit, für „Deutschlands Wiedergeburt". Die aus der französischen Zeit geretteten freieren Institutionen des Landes ge statteten eine größere Wirksamkeit, eine ungehindertere Kraftentfaltung. Hier erhoben sich die Bestrebungen der Freiheitsfanatiker am meisten von dem Boden localer und materieller Beschwerden in die luftige Sphäre der hochpatriotischen Ideale; von dort erklang am lautesten der Ruf nach einer Wiedergeburt der