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4 Zwischen zwei Revolutionen. sich dem übrigen Deutschland fest und innig angeschlossen, wäre die Regierung dem Freiheitsbedürfniß des Volks durch constitutionclic Staatsformcn entgegen gekommen, hätte der König seinen Stutzpunkt mehr im liberalen und aufgeklärten Mittelstand, als in einer kleinen Zahl von Aristokraten, Strenggläubigen, Be amten und Gelehrten gesucht. Mit Deutschland zu einem Ganzen verbunden und die kleineren Staaten von Mitteleuropa unter seinen Schutz nehmend, würde ein constitutionellcs Preußen mit Glaubens - und Lehrfreiheit die vermittelnde und gebietende Macht zwischen dem Osten und Westen gewesen sein, während es im Anschluß an den absoluten Osten und im Streben nach dem Range einer selbständigen Großmacht eine untergeordnete Stelle in der europäischen Politik cinnahm. — Rußland, der Schrecken der Demokraten, die Stütze aller nach Ab solutismus strebenden Regierungen, war durch seine autokratische Herrschcrmacht stark nach Innen, durch diplomatische Klugheit mächtig nach Außen. Kaiser Nicolaus, von dem Gedanken beseelt, „die russische Nationalität aus sich selbst heraus zu civilisiren und in dieselbe alle unterworfenen Volksstämmc hinein- zuzichen in der Sprache wie im Glauben", verletzte nicht selten in seinem Streben nach Uniformität Menschenrechte, Freiheit und Nationalität. Unbeschränkter Gebieter über Staat und Kirche, beherrschte er sein nnermeßliches Reich durch die Macht seines starken, strengen Willens; der reiche Grundadel, die unwissende Geistlichkeit und das halbwilde, zum großen Theil aus Leibeigenen bestehende Landvolk wurden durch den Schrecken des Despotismus und durch die Gewalt des Säbels in gleicher Unterwürfigkeit gehalten. — Polen, einst durch einen un gerechten Gewaltstreich der drei absoluten Mächte aus der Reihe der Völker ge strichen, blieb noch in seinen zerstückelten Gliedmaßen ein drohendes Gespenst für die Staaten, die durch seinen Raub sich vergrößert. Seitdem das Königreich Polen den russischen Waffen erlegen, war die Hoffnung der Emigranten ans Krakau gerichtet, das, als Freistaat unter den Schutz der drei Nachbarstaaten gestellt, mit seinen altpolnischen Königsgräbcrn und seinen vaterländischen Er innerungen als eine letzte Säule aus dem allgemeinen Ruin der Nation einen mächtigen Zauber auf die Flüchtlinge ausübtc. Cs wurden daher von der pol nischen Propaganda mehrere Versuche gemacht, durch Verschwörung sich der Stadt zu bemächtigen und sie als Mittelpunkt einer Revolution zur Wiederbele bung des alten Polenreichs zu gebrauchen. Vergebens stellten die drei Thei- lungsmächte an die republikanische Regierung Krakau's die Forderung, die Flüchtlinge aus dem Gebiete zu entfernen und den conspiratorischen Umtrieben ein Ende zu machen; im Vertrauen auf Frankreich und England gaben die Be- k-dr. i8Ze. Hörden eine ausweichende Antwort; dies hatte die Besetzung des Freistaats von Seiten der Schutzmächte zur Folge; Lord Palmerston legte Protest ein gegen deit „Vertragsbruch", aber Frankreich schwieg. Nachdem durch die Mächte die gesetzgebende Versammlung Krakau's geschloffen und Aufsichtsbehörden ein- Rovbr. I84V. gerichtet worden, zogen die fremden Truppen ab. Als jedoch zehn Jahre später