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II. Geschichtslebcn in den Einzelstaaten (Frankreich). 1S3 in Algier. Wir wissen, wie kühl einst die Kammcropposinon die kriegerischen Erfolge des Bonrbon'schen Königs jenseits des Mittelmeers anfnahm; dennoch glaubte die Julircgicrnng die Errungenschaft der französischen Waffen nicht auf geben zu dürfen. Daher wurden sogleich Anstalten zur Befestigung und Aus dehnung der Eroberungen und zur Colonisirung des überseeischen Landes ge troffen. Nicht ohne Bedenken schritt man zu der Ausführung einer colonisatori- schen Aufgabe, von deren Umfang und Schwierigkeit man keinen Begriff hatte. Aber militärische und politische Gründe sprachen für das Unternehmen, und Louis Philipp begünstigte dasselbe, um die unruhigen Geister in die Ferne zu lenken. „Was liegt daran", läßt ihn Louis Blanc sagen, „wenn man hundert tausend Schüsse in Afrika abfeuert, Europa hört sie ja nicht". So wurde denn ein großartiger Crobcrungs - und Colonisationsplan in Angriff genommen, der Ruhm und Waffenehre brachte, wenn gleich der Werth des Besitzes dem Auf wand von Kraft, Geld und Anstrengung nicht glcichkam. Unter den nordasrikanischcn Vasallenstaaten der Pforte, so beschreibt Hillebrand «and un» das Land und die Völkcrstämme, mit denen die Franzosen in ihrer Occupations- und »°n Algier.^ Colonisationsarbcit zusammensticßen, war Algerien nach Aegypten der mächtigste. Von Marokko gegenüber der spanischen Küste bis zu Tunis gegenüber der stcilianischen, dehnte es sich auf etwa hundert Meilen in die Länge, etwa zehn in die Tiefe aus. Es war in vier große Provinzen gctheilt, eine westliche mit der Hauptstadt Oran, eine mittlere, deren Mittelpunkt Algier selber war, eine östliche, welche die Festung Con stantine beherrschte, und eine südliche, jenseits der ersten Atlaskette gelegene, Tittcry genannt, mit der Hauptstadt Mediah. Zwischen der ausgedehnten, aber meist felsigen Küste, welche sehr wenig gute Hafcnplätze bietet, und dem hohen Gebirge erstreckt sich ein hügeliges, terrassenförmig aufsteigcndes Weide- und Ackerland, durch die vom Nordabhange des Atlas mederströmenden Bcrgsiüßchen in zahlreiche Thäler gespalten, hie und da von ausgedehnteren Ebenen unterbrochen. Das Gebirge selber mit seinen zwei der Küste fast parallel lausenden, unter sich durch weite Hochebenen verbundenen Hauptkämmen, bildet einen breiten Wall, der das Küstenland von der Sahara-Wüste trennt. — Das nicht unfruchtbare Land, dessen Klima durch seine Höhe beträchtlich er mäßigt ist, war von verschiedenen Bölkerstämmcn, zusammen nicht ganz drei Millionen Seelen bewohnt. In den Städten hauste das wenig zahlreiche Krieger- und Herrscher- Volk der Türken. Ihnen dienten die eigenen, mit den cingeborncn Frauen erzeugten Bastarde, die Kuluglis, als Hülfstruppen. Der Handel und das Gewerbe waren in der Hand der Juden und der Mauren, eines Mischvolkes aus Arabern und eingebornen Numiden. Letztere beiden Stämme bildeten noch immer neun Zehntel der Gesammt- bevölkerung. Sie wohnten meist aus dem Lande, in den niederen Gegenden die ersten Eroberer, die nun selbst den Türken unterworfenen Araber, in den Bergen die ein gebornen Kabylcn oder Berbern. Erstere lebten meist als berittene Nomaden, von Jahr zu Jahr ihre leichten Hütten abbrechcnd oder ihre Zelte mit sich führend, sobald eine Strecke von ihren Heerden abgeweidet war, oder eine einmalige Ernte geliefert hatte. Die Kabylen, ein fleißiges und kräftiges Bergvolk, dagegen bauten Dörfer im Mittelpunkt der von ihnen bestellten Felder und regierten sich selber in ihren kleinen demokratischen Bauern-Republiken, während der Araber noch immer die patriarchalisch aristokratische Regierungsform seiner Glanzzeit beibehalten hatte. Doch war die tür kische Herrschaft über die Araber fester begründet als über die kabylischen Bauern und