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128 Zwischen zwei Revolutionen. Selbstherrscher den Zeitpunkt nicht geeignet. Dazu reichten die vorhandenen Streit« fräste nicht hin. In Frankreich trieb die öffentliche Meinung immer schärfer zn einem Anschluß au Mehemet Ali. Durch eine solche Allianz wäre Aegypten in eine Art Clicntelverhältniß zu Frankreich gekommen, eine Eventualität, die dem National stolz schmeichelte. Bei der Eisersucht des französischen Volkes ans das „perfide Al bion" würde auch ein Zusammengehen mit Rußland die Zustimmung der Nation gefunden haben. Dadurch wäre ja die Herstellung der Rheingrcnze, in den Augen der Franzosen ein unerschütterliches Dogma, eine praktische Möglichkeit gewor den. Einem derartigen Bündniß stand aber die gegenseitige Abneigung der beiden Herrscher an der Newa und an der Seine im Wege. Zar Nicolaus konnte seinen Widerwillen gegen den „Barrikadenkönig" nicht verwinden und Louis Philipp wollte sich rächen für so viele Dcmüthigungen, die ihm und seinen Botschaftern von Seiten des hochmüthigen Selbstherrschers aller Reussen zu Theil geworden. So wurde aus persönlichen Motiven eine Politik vereitelt, welche leicht hätte dahin führen können, daß die Türkei unter das Protektorat Rußlands gekommen und am Nil Frankreichs Einfluß vorherrschend geworden wäre. Und nun wurde in Konstantinopel und in Alexandrien bald offen, bald versteckt ein diplomatischer Krieg eingelcitet, wie er seitdem so oft im Orient in Scene gesetzt ward. Zu nächst handelte es sich darum, den Sieger von Nisibis vom Verfolgen seiner kriegerischen Action abzuhalten. England suchte dieses Ziel dadurch zu erreichen, daß cs im Falle eines weiteren Vorgehens Jbrahim's mit einer bewaffneten In tervention Europa's drohte, während Frankreich dem Vicekönig die Bestätigung seiner unabhängigen Herrschaft in dem ganzen von ihm begehrten Umfange als Preis seiner Mäßigung in Aussicht stellte. Im Vertrauen auf diese Zusage hemmte Mehemet Ali den Siegeslauf des Sohnes. Es mar eine zweideutige Politik, die zunächst das französisch-englische Einverständnis; lockerte und dann vollständige Vereinzelung Frankreichs herbeiführte. Denn der russische Macht haber und sein gewandter Botschafter Brunnow in London verstanden es treff lich, den Keil in die Spalte einzutreiben, die das Cabinet von St. James und die Juliregierung trennte, und so das verhaßte westmächtliche Bündniß zu sprengen. Mebemil AN Je mehr sich nun England und Rußland näherten, UNI im Bunde mit den ». »»nnuch. deutschen Großmächten die Integrität des ottomanischen Reiches gegenüber den anmaßenden Forderungen des Aegypters zu schützen, desto eifriger verfocht man in Frankreich die Sache des Vicekönigs. Die Bewunderung, die der schlaue Machthaber dem Andenken Napoleon's zollte, die geflissentliche Bevorzugung der Franzosen bei der Durchführung seiner „civilisatorischen" Unternehmungen, die Aufmerksamkeit und Sympathie, die er den Söhnen der „großen Nation" bei jeder Gelegenheit zuwandte, hatte ihm alle französischen Herzen gewonnen; er war der Lieblingsheld der öffentlichen Meinung. Nur Wenige sahen ein, daß es ein schlechtes Civilisationsmittel sei, „ein Land wie eine Coloniepflanzung