II. Geschichtsleben in den Einzelstaaten (Frankreich). 123 Mandant der Citadellc der päpstlichen Autorität keine Schwierigkeiten bereitete und der französische Gesandte in Rom die Sache seiner Regierung mit möglichster Zchonung und Mäßigung führte, der Nothwcndigkcit eine gute Seite abzuge winnen. Denn man wußte im Vatican recht gut, daß unter der Fürsorge der Wiener Hofburg für die Integrität und Sicherheit des Kirchenstaats auch egoi stische Vergrößerungs- und Herrschaftsgcdanken lauerten, und die französische Politik nahm im Laufe der Zeit einen so konservativen Charakter an, gab der neucrungssüchtigen Partei des Fortschritts in Italien so wenig Ermunterung, daß die Herrschaft des apostolischen Stuhles keinerlei Gefahr lief. Unter Bei- hülfe der beiden Schutzmächte setzte der despotische Cardinal Albani sein Bedrückungssystem ungehindert fort. Von der Einführung der verheißenen Reformen war keine Rede mehr. Mit Hülse eines Freiwilligencorps, das in Centurionen getheilt über das unbotmäßige Land verbreitet wurde, suchte mau durch Gewaltthat und Unterdrückung die „päpstliche Ordnung" aufrecht zu erhal ten und die Unterthancn an Gehorsam zu gewöhnen. Unter solchen Umständen lebten die Gehcimbündc und Verschwörungen von Neuem auf. Sechs Jahre dauerte die Occupation. Erst als bei dem äußerlich ungestörten Friedensstand der Halbinsel die fremde Ueberwachung als überflüssig erachtet ward und Kaiser Ferdinand bei Gelegenheit seiner Krönung in Mailand eine Amnestie verkün dete, verließen die österreichischen wie die französischen Truppen fast gleichzeitig das päpstliche Gebiet. Aber in den Gemüthern der Bevölkerung dauerte der Groll fort. „Der Haß über die Wortbrüchigkcit der Curie", heißt cs bei Ruth, „über die scheußliche " Restauration durch Albani, die Grausamkeit der Sanfedistcn und Centurionen, die Un terdrückung aller Bürger - und Menschenrechte und die Ucbcrzcugung von der Recht mäßigkeit einer Revolution als der einzigen möglichen Abwehr der kirchlichen Tyrannei, setzte sich immer fester. Ancona blieb auch nach der Räumung der Franzosen Ccntrum des Liberalismus". Im Pariser Abgeordnetenhaus wurde es scharf gerügt, daß man vor der Räumung keine Bürgschaften für Recht und'Freiheit der Unterthancn ausbe dungen habe. Neun Jahre später gingen Guizot und Metternich Hand in Hand, um die „konservativen Interessen" zu wahren, als Papst Pius IX. die Fahne des politi schen Fortschritts und der freiheitlichen Reform auspflanzte und von den Alpen bis zum Faro der Liberalismus hoffnungsreich und thatenmuthig wieder seine Schwin gen hob. Die schonende und friedsertige Haltung der Julircgierung gegenüber den Kriegens-b-« europäischen Staaten erregte bei dem französischen Volke viel Unzufriedenheit, d» " Um so rathsamec erachtete man es in den Tuilerien, dem militärischen Geist der Nation in der Ferne einen Schauplatz sür Thaten und Triumphe zu schaffen. Die kriegerischen Verwickelungen im Oriente zwischen der ottomanischen Pforte und Aegypten sowie die Behauptung und Colonisirung des kurz vor der Julirevo lution eroberten Gebietes von Algier boten dazu die beste Gelegenheit. Beide Unternehmungen hatten einen inneren weltpolitischen Zusammenhang. Denn was den Franzosen den Besitz des nordafrikanischen Küstenlandes so wichtig macht, ist der dadurch bedingte Antheil an der Herrschaft über das Mittelmeer