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118 X. Zwischen zwei Revolutionen. Broglie im Gefühle seiner „Tugend und Gerechtigkeit" bei ollen europäischen Verwickelungen gegenüber Preußen und Oesterreich anschlug, kam den Bestre bungen des russischen Kaisers, Deutschland und die Nordostmächtc enger zu einer solidarischen Erhaltungspolitik zu verbinden, sehr zu Statten. Wenn auch hie und da die Juliregierung, gedrängt durch die liberale Opposition und die öffentliche Volksstimmung in Frankreich diplomatische Vorstellungen machen ließ, auch wohl zeitweise Neigung zeigte, die freisinnigen Regungen in den kleineren Staaten des deutschen Bundes zu beschützen, die constitutioncllcn Regierungen unter Frankreichs Protectorat gegen die absoluten Mächte des Nordens und Ostens zn vereinigen, so waren das nur vorübergehende Anwandlungen, die durch Louis Philipps friedfertiges Bemühen, alle Unebenheiten und Verstimmungen der Ca- biuete auszugleichen, bald abgcschwächt wurden und keinen dauernden Nachdruck auf das politische Leben rechts vom Rhein zu üben vermochten. imi°n undU Wenn in Belgien die französische Hofpolitik wenigstens einige Erfolge zu "Aenischkn verzeichnen hatte, so brachte dagegen in Italien die unsichere und schwankende Haltung der Regierung dem Julikönigthum eine moralische Niederlage. Seit dem Scheitern der revolutionären Erhebungen in Neapel und Piemont waren die Hoffnungen der italienischen Patrioten auf Frankreich gerichtet. Wie viele Flüchtlinge hatten bei der stammverwandten Nation Schutz gesucht gegen die Schrecken der Kriegsgerichte und Kerker, welche der österreichische wie der einhei mische Despotismus über die Halbinsel verhängte! Italienische Ausgewanderte und Verbannte hatten während der Regierung Karl's X. die Franzosen in die „Kunst der Complotte" eiugcweiht und zugleich das Feuer couspiratorischer Ge- heimbüude in der Heimath unterhalten. Alle Fäden dieser Gchcimbündc liefen in den Händen Lafayctte's und einiger Gesinnungsgenossen wie Dupont de l'Eure und Mauguin zusammen. In Paris bestand ein Comite italienischer Exulanten, die mit den Patrioten der Halbinsel in fortwährender Fühlung waren und die Parole ausgabeu. Die Seele derselben war Giuseppe Mazzini aus Genua, ein Mann von einnehmendem Wesen, von hohem literarisch-publici- stischcn Talente, von rastloser Thätigkcit und wunderbarer Organisationsgabe, der das Conspiriren und Complottiren mit dem glühenden Eifer eines Apostels und Missionärs betrieb. Was war natürlicher, als daß die Nachricht von der Julirevolution bei dem heißblütigen südländischen Volke die größte Aufregung erzeugte, die Regierungen mit Befürchtungen, die Patrioten mit Erwartungen und Zuversicht füllend! Wir wissen (XIV, 820), daß ganz Mittelitalicn von einer tiefen Gährung ergriffen ward. In Bologna, wo sich eine provisorische Regierung bildete, deren Präsident Vicini das Oberhaupt der Kirche daran er innerte, daß sein Reich nicht von dieser Welt sei, las man in einem Anschlag, „die dankbare Nachwelt werde die drei Pariser Julitage neben die sechs Schö pfungstage stellen". Die Romagna, die Marken, die meisten Städte des östlichen Kirchenstaats bis nach Ancona fielen in die Gewalt der Aufständischen; nur mit