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II. Geschichtsleben in den Einzelstaatcn (Frankreich). 117 zösischcn Throncandidatur für Belgien, sei es in der Person des Herzogs von Nemours, des zweiten Sohnes von Louis Philipp, oder des neapolitani schen Prinzen, seines Neffen, das Zeichen zu einem Bruch und Krieg zwischen England und Frankreich sein würde, bewirkte, daß in Paris eine nachgiebigere Stimmung Platz griff und daß man den Gedanken, in dem neuen Königreich eine Orlcans'sche Secundogcnitur zu schaffen, ausgab. Louis Philipp begnügte sich mit der Entscheidung, daß durch die Vermählung seiner Tochter Louise mit dem belgischen Wahlkönig Leopold von Sachsen-Koburg dem französischen und englischen Interesse gleichmäßig Rechnung getragen ward, und das Ministerium Perier brach den Widerstand des holländischen Königs und seiner siegreichen Armee durch die Absendung eines französischen Hülssheeres, das als „Cxecu- tionstruppen der Eonferenz" die Durchführung der Londoner Abmachungen er möglichte (XIV, 837). Auch in Portugal ließ es chas englische Ministerium ruhig geschehen, daß Frankreich den despotischen Priesterknecht Dom Miguel, der einige Franzosen in Lissabon und Coimbra in brutaler Weise hatte verurtheilen und bestrafen lassen, zur strengsten Genugthuung zwang, und ging dann mit der 2»n wzi. Juliregierung Hand in Hand, als es sich darum handelte den wortbrüchigen Usurpator seiner angemaßten Herrschaft zu berauben (XIV, 656 f.). Polen dagegen wurde seinem Schicksal überlassen. Weder die Bemühungen des Pariser Cabinets, durch diplomatische Vermittelung die „politische und nationale Existenz" der Polen zu retten, noch die Sympathien der Völker aller Länder, die sich in Paris zu lärmenden Kundgebungen und Straßentumulten steigerten, vermochten das unglückliche Volk vor dem gänzlichen Untergang zu bewahren. Man ge währte den Flüchtlingen Unterstützung aus Staatsmitteln und die ganze fran zösische Nation beeiferte sich, durch Sammlungen und Hülfsvereine dem Noth- stnude derselben nach Kräften abzuhelfen; auch die Kammer versäumte keine Ge legenheit, Wünsche für die Erhaltung der alten polnischen Nationalität auszu sprechen, die aber wenig Beachtung fanden, zumal als die große Zahl unbeschäf tigter revolutionslustiger Leute der Juliregierung manche Verlegenheiten schuf. Sie verstärkten die Reihen der demokratischen Bewegungspartei im Innern und schürten in den Nachbarländern das aufrührerische Feuer. Aber alle Verschwö rungen und Ausstaudsversuche, die in der Folge von den über alle Länder zer streuten und durch eine geheime Propaganda für Wiederbelebung ihrer Nationa lität wirkenden polnischen Emigranten veranstaltet wurden, endeten zu ihrem Schaden und füllten die Kerker und Verbannungsorte mit neuen „Märtyrern". Die deutschen Fürsten, dem Gelüsten der Franzosen nach der Rheingrenze miß trauend, buhlten um die Gunst des in seiner Selbstherrlichkeit sich stark fühlenden Rußland, wiesen die Rheinbundsgedanken, die man von Paris aus zu beleben bemüht war, von der Hand und beförderten das Streben des Zaren, vermittelst Ehebündnissen und Verwandtschaftsbanden über die meisten deutschen Höfe ein Netz zu werfen. Der schroffe herausfordernde Ton, den der Ministerpräsident