1278 L. Neueste Zeitgeschichte in ihrem äußeren Verlaufe. getrennten Glieder haben sich wieder zu einem einheitlichen Organismus, zu einem mächtigen Reich der Mitte vereinigt, dessen wichtigste Aufgabe die Wah. rung des europäischen Friedens sein wird. Aber auch an anderen Orten sind große Errungenschaften eingcbracht morden: Im Westen und Osten wurden die Fesseln der Knechtschaft gelöst, hier durch die Macht der Humanität auf fried lichem Wege, dort im Gefolge eines gewaltigen Kampfes voll leidenschaftlicher Erregtheit. Mit sicher leitendem Instinkte fordern die Völker die Nicderrcißung oder Lockerung der Schranken, welche bisher das Handels - und Vcrkchrslebcn in seinem Gange gehemmt, welche die Stände und Geschäftskreise geschieden, welche der Niederlassung nnd Freizügigkeit im Wege gestanden, welche die bür gerlichen Rechte von der Geburt und vom Glaubcnsbekenntniß abhängig machten. Die Zeit des Weltverkehrs mittelst Dampfkraft und elektrischer Drahtlcitung, die sogar im Sommer 1866 durch die glücklich vollbrachte Legung des Kabels von Irland nach Ncufoundland die breite Naturgrcnzc zwischen der neuen und allen Welt überwunden, im Jahre 1869 durch Vollendung der Pacificciscnbahn und des Suezkanals die östliche und westliche Erdhnlftc in nahe Verbindung ge- setzt, im Jahre 1871 durch das wunderbare Werk des Montccnis-Tunnels die Alpcnwand zwischen Frankreich und Italien durchbrochen und ein Jahrzehnt später eine Eisenstraße durch den Gotthardt vollendet hat, führte zu einem neuen Weltbürgcrthum, aber von praktischer Natur und realen Zielen. Das organi satorische Genie des deutschen Gcucralpostmeistcrs Stephan rief ein Weltpost system ins Leben, das alle Culturlündcr gewissermaßen zu einem internationalen Vcrkchrslebcn cinigt. An die Stelle gebundener Genossenschaften und Verbrü derungen, welche die individuelle Freiheit durch Eide und Bundesgesetze in Fes seln und Banden schlugen, trat das freie Vercinswescn zur Erleichterung der Lebensezistenz und zur Fortbildung in allen, menschlichen Wissen. Und wenn auch unter dem Schutze dieses freien Vereins- und Gesellschaftslebens der vierte Stand mit heftiger Begehrlichkeit nach social-demokratischcn Staats- und Gesell schaftseinrichtungen drängt, durch welche das bestehende Cultur- und Rechtsleben dem Umsturz cntgcgengeführt, die individuelle Freiheit unter dem Banne despo tischer Genossenschafts-Vorschriften ausgelöscht würde; so werden die mittleren bürgerlichen Klassen stark genug sein, die wühlerischen elementaren Gewalten in die gesetzlichen Schranken einer gesitteten Staats- und Gesellschaftsordnung zu werfen und den Fortschritt menschlicher Cultur gegen zerstörende revolutionäre Kräfte zu schirmen. Ein Trieb zur Selbstbestimmung und zur Selbsthülfe durchzieht das Völkerleben; die Einsicht und Erfahrung, die im kleinen Gesell- schafts- und Vereinsleben erworben und geübt wird, strebt sich auch im Großen zu bewähren und zu bethätigen; der alte Beamtenstaat mit seiner büreaukrati- schen Allmacht und gehcimnißvollen Amtsthätigkeit ist eine überwundene Ein richtung. Die wachsenden Gcldbedürfnisse und der schwierige Staatshaushalt machten die Regierungen von fremder Hülfe abhängig und setzten einen Credit