1274 L. Neueste Zeitgeschichte in ihrem äußeren Verlaufe. Thrones, bei dem Thronfolger und seiner Umgebung, bei einem Theile der hohen Staatsbeamten fand der Ruf nach einer Versnssungsresorm Anklang. Der Verfasser des Buches „Rußland vor und nach dem Krieg" weist am Schlüsse seiner Schrist auf die Anomalie hi», daß ei» absolutistisch regierter Staat sich als Befreier und Reformator auispielc, daß er andern Völkern SlaatScinrich- tungcn und Wohlthatcn des öffentlichen Lebens schaffen wolle, die er selbst nicht besitze und von seinem eigenen Staatsorganismus fern zu halte» bcmiiht sei, daß er eine civilisatorischc Mission beanspruche und dabei im eigenen Hanse die werth- vollsicn Güter der Eivilisatio» entbehre, und empfiehlt die Einführung von In stitutionen, die dem politischen Emancipalionsbcdürfniß der Nation Rechnung zu tragen und durch eine „große Reform" der drohenden Revolution den Weg zn verlegen geeignet seien. „Noch liegen die Dinge so, daß jede Beschränkung des Absolutismus nusrcichcndjscin würde, die in Alvs; gekommene Bewegung min destens für eine Anzahl von Jahre» zu beschwichtigen. Was bis jetzt verlangt wird, beschränkt sich wesentlich auf eine controlircndc Thcilnahmc der russischen Gesellschaft an der Verwaltung, auf die Aufrichtung eines Apparates, der der Neigung und Gewöhnung der Regierung an unaufhörlich wechselnde Gesetz gebungs-Experimente einen Riegel vorschicben und der eine Art Bürgschaft für größere Planmäßigkeit und Gesetzlichkeit der administrativen und finanziellen Gebarung bieten soll. Nimmt dagegen die innere Auflösung des alten Ruß land ihren Fortgang, bleibt das System der russischen Gesetzgebung und Ver waltung nach wie vor ein von bloßen Zufälligkeiten beherrschtes, fährt man fort, Gesetzlichkeit neben Willkür, europäische Bildung neben altväterischer Ab geschlossenheit conscrvircn zu wollen, und einander ansschlicßcnde Maximen vor denselben Wagen zu spannen, so erscheint ein gewaltsamer Zusammen bruch der alten Ordnung russischer Dinge unvermeidlich". Pcmsbmg Nicht minder Besorgnis; erregend war die Wandlung in Rußlands auswär- tiger Politik, insonderheit die immer offener hervvrtrctcndcn Anzeichen einer Ver stimmung zwischen Petersburg und Berlin. In den herrschenden Kreisen an der Newa war man mit der Haltung Preußens auf den; Congrcß unzufrieden. Man beschuldigte den Fürsten Bismarck, daß er sich der Sache Rußlands bei den Ver handlungen nicht entschieden genug angenommen, daß die preußische Regierung die Dienste, die Rußland dem alten Verbündeten in dem deutsch-französischen Krieg erwiesen, nicht dnrch energische Gegendienste vergolten habe. Man zieh Preußen der Undankbarkeit, daß es die alten Freundschaftsbande zu lockern be strebt sei; mau suchte von Neuem den Verdacht zu wecken, als strebe es nach einer Annexion der deutschen Ostsecprovinzen, als unterhalte es mit den unzu friedenen Elementen des Zarenreichs geheime Fühlung und nähre die antipathi schen Gefühle. Die bittere Stimmung melM sich, als zu Anfang des Jahres 1879 Deutschland und nach seinem Vorgänge auch andere Nachbarstaaten gegen das Eindringen der in verschiedenen Gegenden des Gouvernements Astrachan