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II. Die Jahre 1875 bis 1880 in geschichtlichen Umrissen. 1265 dessen Heere geschlagen und zerstreut waren, wo in den Rcgicrungs- und Bcamtcn- krciscn Zerrüttung und Rathlosigkcit herrschte, die Gcldnoth aufs Höchste gestiegen war, die Gemüthcr durch Gcrüchlc von Verschwörungen und Complotten in Angst gehalten wurden, Tausende von flüchtigen Mohammedanern, die den Mißhandlungen und dem Mordstahl der Feinde, insbesondere der rachcdürstcn- dcn Bulgaren, zu entrinnen suchten, im jammervollsten Zustande nach Constan- tinopel und den südöstlichen Landschaften zusammcnströmlcn, Minister und Generale in schnellem Wechsel einander ablöstc»! Weder Rußland noch England zeigten großes Verlangen in kriegerische Action mit einander zu treten. Lord Beaconsfield zog cs vor, sich mit Rußland zu verständigen und dem britischen Reiche aus der zerschlagene» Türkei einen Theil der Beute zu erwerben. Die Petersburger Regierung ließ sich bereit finden, den Fricdcnsvcrtrag D-- B^iwi von San Stefano einem europäischen Congrcssc vorzulcgcn, damit über die einzelnen Bestimmungen ein endgültiges schiedsrichterliches Urthcil erzielt werde. So trat denn in Berlin eine Diplomattn-Vcrsammlung ins Leben, wie die Welt seit dem Wiener Congreß keine ähnliche gesehen. Unter dem Vorsitz des deutschen Reichskanzlers Bismarck, dessen vermittelnde und friedliebende Politik wesentlich bewirkt hat, daß der Krieg auf den Schauplatz beschränkt geblieben, welcher der Gegenstand des Streites war, tagten die ersten Staatsmänner der europäischen Großmächte hinter geschlossenen Thürcn, um die neue Ordnung der Dinge im Orient festzusetzcn. Außer den dreiRcichskanzlern-Bismarck, Gortschakow, Anbrassy hatten sich Lord Beaconsfield für England, Waddington für Frankreich, Corti für Italien, Karat heodvry und der Deutsche Metze ln cd Ali für die Türkei Ungesunden, begleitet von andern Diplomaten und Staatsmännern, nickst zu gedenken der Agenten, welche die kleineren Orientstaatcn abgesandt hatten. Daß die Hauptstadt des deutschen Reichs zum Sitze der glänzenden Versammlung und Fürst Bismarck zum Präsidenten gewählt ward, war ein Zeichen, welche Anerkennung die Politik des deutschen Reichskanzlers gefunden hatte. Die Hauptaufgabe des Berliner Congrcsscs bestand darin, A As den Vertrag von San Stefano der für die Türkei allzu drückenden Bestimmungen zu entkleiden. Und so kam man denn nach mancher hitzigen Redeschlacht dahin überein, daß die den Fürsten von Serbien und Montenegro zugcdachte Gebiets erweiterung beschränkt, der Austausch Bessarabiens gegen die Dobrudscha für Rumänien dagegen anerkannt ward, mit der Bestimmung der Gleichberechtigung aller Glaubensbekenntnisse, mithin auch der Juden, in dcm neuen unabhängigen Fürstenthum. Die Rumänen waren mit diesen Bestimmungen keineswegs ein verstanden. Noch das ganze folgende Jahr hindurch bcstritten sie den Russen den Besitz des Fort Arab Tabia bei Silistria und widersetzten sich der Zulassung der Juden in das rumänische Staatsbürgcrrecht, weniger aus religiösen als aus wirthschaftlichen Gründen. Auf das Drängen der Congrcßmächtc kamen endlich Regierung und Gesetzgebung in Bukarest überciu, einigen näher bezeichneten Weber, Wettgeschichtt. XV. 80