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1256 L. Ncuestc Icilgeschichtc in lhrcm äußeren Verlaufe. gestatte und rechtfertige, mehr Geltung haben müsse al» das positive auf Ueberem- kunft beruhende völkerrechtliche Verhältnis; zwischen souveränen Staaten. Nicht als ob die britische Regierung für geschlossene Verträge eine heilige Ehrfurcht fühlte ; England Hal in seinem geschichtlichen Lcbcn häufig genug bewiesen, daß es sich nicht von Dociriuen leiten lasse, daß cs die Zeilumslündc im Spiegel der eigenen Interessen und Vorthcile betrachte; aber cs wollte nicht zugebcn, daß die Türkei, mit deren Existenz so viel englisches Capital verslochlcn war, die dcn englischen Waarcn stets einen so einträglichen Markt bot, deren Dasein sür die britische Machtstellung im Orient unentbehrlich ist, zerschlagen werde; cs wollte im Interesse seiner Schifffahrt, seines levantischen Handels, seiner indischen Ver bindungen, nicht zugebcn, daß sich Rußland Constantinopcls und der Wasser, straßen des mittelländischen und schwarzen Meeres ausschließlich bemächtige. So weit ließ sich indessen das Torycabinel doch nicht sortreißen, daß es mit der Pforte eine Allianz, ein Defensivbündniß geschlossen hätte; die öffentliche Meinung, die in England gelheilt war und noch immer durch die Agitationen der Whigs in den „Entrüstungs-Meetings" im Sinne der russischen Sympathien gegenüber den „Bulgarischen Gräueln" der Türken bearbeitet wurde, machte eine solche entschiedene Parteinahme bedenklich. Sv nahm denn die Regierung die Haltung einer beobachtenden Neutralität an; sie ließ ihre Schiffe in der Nähe der türkischen Küsten kreuzen, hielt Constantinopel in Obhut und gab der Pforte eine moralische Stütze, indem sie die Möglichkeit einer eventuellen Hülfsleistung in Aussicht stellte. Alles Ivas die russische Diplomatie erlangen konnte, war ein von den sn Mär, sechs Garantiemächlen unterzeichnetes vages Protocoll, in welchem von der Pforte die wirkliche Durchführung aller von ihr zugesicherten Reformen verlangt ward, „widrigenfalls die Mächte sich weitere Schritte Vorbehalten, um die Wohlfahrt der Christen und die Interessen des allgemeinen Friedens sicher zu stellen"^ 3» Constantinopel zeigte man sich wenig geneigt, dem schwachen „Ultimatum" Folge zu geben. Als darauf Rußland sich anschickte, im Namen und Auftrag der euro päischen Mächte die Beschlüsse mit den Waffen durchzuführen und an die Türkei den Krieg zu erklären, legte die Londoner Regierung Verwahrung ein gegen ein so gewaltsames Vorgehen. In dieser Haltung Englands mußte die Pforte einen Freibrief für ihre Apathie erblicken und eine Aufmunterung für ihren geheimen Widerstand gegen die ihr von Rußland aufgezwungenen Reformen. D-- russisch. Nun beschloß Kaiser Alexander aus dem politischen Halbdunkel hcraus- ' ÄE zutretcn und den diplomatischen Knoten mit dein Schwerte zu zerhauen. In der zweiten Hälfte des April verließ er seine Hauptstadt und traf am 23. bei der Tsch-riatzE Armee in Kischenew ein. Am folgenden Tage ließ er ein Kriegsmanifest aus- 24' ^877. gehen, welches der Welt verkündete, daß er ausziehe, „um für seine leidenden Glaubensgenossen auf türkischem Boden mit Waffengewalt diejenigen Bürg schaften zu erlangen, die für die Schonung ihrer künftigen Wohlfahrt unum- Umgänglich nothwendig seien". In der Nacht erfolgte der Ucbergang größerer