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1216 L. Neueste Zeitgeschichte i» ihrem äußeren Verlauft. schichtlichcu Vergangenheit. Anstatt Oesterreichs trat nun Rußland au die erste Stelle. Scho» vor drei Jahrhunderten hatte ein vcuctianischcr Gesandter bei der hohen Psorte die russisch-türkische Politik in folgenden Worte» bezeichnet: „Der Großfürst der Moskowiter wird von dein Kroßhcrrn vorzüglich deshalb gefürchtet, weil er derselben griechischen Kirche augchört, wie die Bewohner von Bulgarien, Bosnien, Serbien, Morca und Griechenland, welche ihm darum sehr ergeben sind. Diese Bevölkerung wird auch immer bereit sei», die Waffen zu erheben, um sich von der türkischen Sklaverei zu befreien und sich der Herrschaft des Groß fürsten zu unterwerfen." Dieses Unheil bewährte sich auch jetzt als richtig und mit dem verstärkten Gewicht, daß in neuerer Zeit zu der Klanbcusgcuossenschnfl noch die Idee der StammcSbrüdcrschaft, zu den kirchlich-religiösen Gesichtspunkt» die politisch-nationalen sich gesellt hatten. Mit welcher Gcnugthuung bcnicrktc man in Petersburg und Moskau, daß alle Rajahs iu dec Balkanhalbinscl ihre Blicke nach dem Zarenreich richteten! Welch eine Aufgabe fiel damit dem Selbst herrscher aller Reußen zu, wenn er als Mandatar der europäischen Großmächte die Vermittlerrolle gegenüber der Pforte und ihre» aufständischen Umcrthancn überiiehmen, als Beschützer der Humanität, des Christenthums, der Civilisation auftreten konnte! Das ehrgeizige Ziel, welches das Moskowitcrrcich seit Peter dem Gr. ununterbrochen als traditionelle Politik im Auge hat, durfte cs jetzt im Auftrage Curopa's, mit der begeisterten Zustimmung aller Rcligions- und Stammcsgcnosscn im Norden wie im Süden der Donau und des Balkan ver folge»! Nu» war der „kranke Mann" am Bosporus einem Arzte anvertraut, der mit acuten Mitteln eine rasche Krisis herbcizuführcn vermochte. Und die Petersburger Regierung brauchte sich nicht einmal zu dieser ehrenvollen zukunft- reichen Mission heranzudrängcn. Ein übereiltes Vorgehen hätte leicht das Miß trauen und den Neid der Westmächte ivcckcii und eine neue Loalitiou wie im Krimkriege ins Leben rufen können. Die Dinge inr Orient nahmen in den nächsten Monate» ci»e so drohende Gestalt, daß dem Zarenreiche die Rolle einer vermittelnden Intervention von selbst znfallen mußte. Und wen» der „kranke Mann" durch die inneren Aufstände immer schwächer wurde und sich immer mehr verblutete, wen» die Unfähigkeit der Pforte, die Uebelstände zu beseitigen und den unmenschlichen Gräuel» der fanatisirtc» Mohammedaner Einhalt zu gebieten, immer greller zu Tage trat, so wurde Rußlands Aufgabe erleichtert und sein pacificatorischcs Einschreiten in» so dringender. Da» DtMntt Die Aufstände, zu denen die Verzweiflung die gedrückte Bevölkerung in der -an-um" Herzegowina nnd in Bosnien getrieben, verbreitete» sich ii» Frühjahr immer weiter: die Insurgenten wurde» durch Waffen, Kriegsvorräthe und Zuzüge von ihren Stannnesgcnoffen in Montenegro und Serbien verstärkt, so daß sic im April dem türkischen Befehlshaber, als er die bedrängte Festung Niksitsch ent setzen und verproviantier» wollte, im Duga-Paß einen energischen Widerstand