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II. DieJahre1875 bis 1880 in geschichtlichen Umrissen. 1211 sicher durch die hochgchcndcn Wogen des Föderalismus und Particularismus zu lenken, die widerstrebenden Kräfte zu gemeinsamer Arbeit zu sammeln, dem Kaiserreiche seinen deutschen Charakter zu bewahren, gegen die Magyaren wie gegen die Slaven anzukämpken. Nur der Umstand, daß diese Nationalitäten unter sich selbst wieder getrennte Wege gehen und verschiedenartige Zwecke verfolgen, sichert dem deutschen Elemente das Uebergewicht. Der österreichischen RrgicrungSpolitik liegt daher die Hauptaufgabe ob, die Idee des Gesammtstaats zu pflegen, bei asten Bolksthcilcu das Gefühl der staatlichen Zusammengehörigkeit zu beleben, die Ucberzeugung zu wecken, das; sic Glieder eines großen Ganzen sind, dessen Wohl und Gedeihen nur vereint erreicht werden könne. Aber so einfach und klar diese politische Aufgabe in der Idee erscheint, so schwierig ist ihre Bethätigung, weil Egoismus und Sonderintcrcsse, Leidenschaft und natio nale Vorurtheile den Blick auf die Gcsammtheit trüben, der selbstsüchtige Natur trieb zunächst den praktischen Vortheil oder Nachthcil des Individuums ins Auge faßt. Dies gilt vor Astern von dem Verhältniß Oesterreichs zu Ungarn. Der Ehcbund, durch welchen beide Staaten Jahrhunderte lang zur Lebensgemcin-' schäft zusammengefügt waren, hatte manche stürmische Tage, manchen Zwist und Streit im Gefolge gehabt; aber Nothwendigkeit, Gewohnheit, äußere Ge fahren oder Zwang verhinderten die Lösung des Bandes. Es gab Zeiten ein trächtigen Zusammenlebens, ja ehelicher Zärtlichkeit. Seitdem aber der Dualis mus durch rechtsgültigen Schcidungsvertrag geschaffen worden, oder nur noch eine convcntioneste Ehe mit Ausschluß der Gütergemeinschaft bestehen blieb, nur noch die lästigen Verpflichtungen, die Nationalschuld, der Hcerbcstand, das ge meinsame Band bilden, ist der Rechtsstreit um materielle Güter der normale Zustand der inneren Politik, sind Mißtrauen, Gewinnsucht, nationale Eigen liebe die Triebkräfte des ungarischen Patriotismus. Das Magyarcnthum zu heben und zu verherrlichen, die Herrschaft der Dcutsch-Oesterreicher zu schwächen und zu verkleinern, die fremden Völkerstämmc, welche der Scheidungsakt der transleithanischen Reichshälfte zugewiesen, die Deutschen in Siebenbürgen, die Slaven in Croatien, Slavonicn u. a. O. zu unterdrücken und in ihren natio nalen Rechten und Eigenthümlichkeiten zu verkürzen, von den gemeinsamen Lasten möglichst viel der westlichen Hälfte zuzuwenden, das sind die leitenden Gesichtspunkte der magyarischen Politik. Nicht genug, daß das Königreich Ungarn von Ofen-Pest aus viel selbständiger und unabhängiger durch die eigenen vollziehenden und gesetzgebenden Gewalten regiert wird, als die cislei- thanischcn Länder von Wien aus; die Magyaren verlangten und empfingen einen überwiegenden Antheil an der Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten, so daß der Schwerpunkt der Monarchie oft in Pest zu liegen schien; sie entrichteten zu den gemeinschaftlichen Reichsausgaben sArmee, Marine, Gesandtschaften, Ver zinsung der Staatsschuld) kaum den dritten Theil. Und dennoch strebte die