1208 L. Neueste Zeitgeschichte in ihrem äußeren Verlaufe. geschoben. Und als im Jahr 1880 im preußischen Landtage eine Gcsctzesvorlogc eiugcbracht wurde, kraft deren cs in die Gewalt der Regierung gestellt sein sollte, eine Reihe von Artikeln in den Maigcsctzcn in Anwendung zu bringen oder un ausgeführt zu lassen, da konnte sich das liberale Deutschland der Sorge nicht cntschlagen, daß damit „der Gang nach Canossa" eingclcitct würde. Noch selten hat ein Gesetzentwurf so aufregende und einschneidende Debatten, Beratungen, Verhandlungen und Ausglcichungsvcrsuchc zwischen den Parteien hcrvorgerufen, wie die Vorlage über die discretionnrc Gewalt der Regierung in den kirchcnpoli- tischen Fragen des „Cultnrkampfcs". Falk und seine Gesinnungsgenossen wollten schon in dem bloßen Einbringen einer solchen Vorlage, auch wenn sie znrückgc- wiesen würde, einen Mißgriff der Regierung erkennen, durch welchen das An- sehen des Staates gegenüber dem hcrrschsüchtigcn Klerikalismus geschwächt und geschädigt würde ; und als dennoch in die Bcrathung über die einzelnen Artist! eingetrcten ward, strengten die Liberalen alle Kräfte an, von den maigesctzlicheti Bestimmungen wenigstens die wichtigsten und folgenreichsten zu retten. Al« auch hier war Gefahr, cs möchte sich eine conscrvativ-ultramontanc Majorität bilden nnd den ganzen Gesetzentwurf, wo möglich noch mit Verschlimmerungen, annehmcn. Dies zu verhindern, war das Streben eines Theils der Liberale unter Bcnnigscn's Führung, die an dem Zustandekommen eines CompronD? unter Beseitigung der bedenklichsten Bestimmungen der Vorlage arbeiteten. Und dies gelang ihnen auch. Die Hauptpunkte, wie die Rückbcrufung der von dB kirchlichen Gerichtshof abgesctztcn nnd flüchtigen Bischöfe, die discrctionäre An- Wendung oder Sistirung der strafrechtlichen Bestimmungen der Maigcsctze u.", a., wurden ausgcschicdcn und das Gesetz schließlich in einer so abgeschwächtc" und verwässerten Gestalt angenommen, daß cs kaum mehr Werth für irgend Jemanden hatte. Auf den Artikel von der Rückbcrufung der Bischöfe hatte ina» in den Hofkrciscn das höchste Gewicht gelegt, damit bei der beabsichtigten Kirche»' feier zur Verherrlichung der Vollendung des Kölner Dombaucs Kaiser nnd Etz' bischof gemeinschaftlich und versöhnt zusammcnwirkcn möchten. Aber trotz aller Verstümmelungen und Abschwächungen erschienen die „Rudcra" der Vorlage dB EultuSnünistcr v. Puttkamcr noch bedeutend genug, um auf sic sein verändert ^üt>«^kirchcnpolitiO System zu gründe» und mit Hülfe derselben eine neue Aufsst!' 188«. lung der Streitkräfte in dem Culturkampfe vorzunchmen. Auch in Baden wurde der Versuch gemacht, durch Aufhebung des von der Freiburger Curie nicht anw kannten Ezamcngcsctzcs für die Candidaten der Theologie den Conflict zwisäß» Staat und Kirche anszuglcichcn, den „Culturkampf" bcizulcgcn. Di- Haltung Der Reichskanzler überließ die Durchführung des Kirchcngesctzes im preu^ kanonischen Landtage ausschließlich dem Kultusministerium, ohne persönlich in Verhandlungen einzugrcifeu. Mau mochte überhaupt zweifeln , ob er auf d^ Zustandekommen eines solchen Gesetzes großen Werth legte. Er hatte ja z»^ Genüge die Erfahrung gemacht, daß mit Rom keine billige Verständigung?