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II. DieJahrc 1875 bis 1880 in geschichtlichen Umrissen. 1203 Italien, wodurch die Fabrikation des Rohtabaks und der Vertrieb der ver arbeiteten Waare dem Staate zugewcndct würde. Neben der Vermehrung der Rkichscinnahmcn verfolgte die neue Zoll- und Steuerpolitik den Zweck, die ein heimische Industrie durch Schutzzölle gegen die Concurrcnz des Auslandes zu decken und die Landwirthschaft durch Erschwerung der Einfuhr fremden Getreides zu heben. Wir alle erinnern unS noch, welche Aufregung und Meinungsver schiedenheit in der ganzen Nation sich erhob, als gegen Ostern die von der er wähnten Commission ausgcarbciteten von dem Bundcsrathc mit einiger Be denklichkeit und Zurückhaltung angenommenen Vorlagen dem Reichstage zur Bc- rathung und Zustimmung unterbreitet und von dem Kanzler in ausführlicher Rede zur Annahme empfohlen wurden. Ein System von Schutz- und Kampf- zollen stand so sehr im Widerspruch mit der seit einem halben Jahrhundert als wirthschaftlichcs Evangelium verkündeten Lehre vom freien Handel und Verkehr, von der Maxime des »I^^ser-kaire« der sogenannten Manchestcr-Doctrin, daß alle Gcmüthcr in Aufruhr gcricthen, daß Partcistcllungcn und Meinungen wechselten, daß Umwandlungen in den politischen Anschauungen sich vollzogen, die man vor Jahresfrist nicht für möglich gehalten hätte. Die stärkste Agitation wurde gegen den Plan .eines Tabakmonopols in Scene gesetzt. Ein großer In dustriezweig, der sich als Vermittler zwischen den Anbaucr und den Lonsumcmen eingeschoben, war mit Vernichtung bedroht, tausende von Manufacturen und eine unberechenbare Zahl von industriellen Unternehmungen gingen dem Unter gang oder Verfall entgegen; viele Millionen waren für Entschädigungen und Ankäufe erforderlich. In ganz Deutschland wurden Versammlungen gehalten, Beschlüsse gefaßt, Denkschriften und Eingaben angefertigt. Dieser Widerspruch der öffentlichen Meinung bewirkte denn auch so viel, daß das Tabakmonopol bis her offiziell noch nicht in Vorschlag gekommen ist, sondern ein in Vorbereitung begriffenes und leidenschaftlich discutirtcs Project blieb. Wenn der Reichskanzler vorläufig auf das Monopol verzichtete, so setzte er um so mehr seine ganze Kraft, Thätigkeit und diplomatische Gewandtheit ein, um im Reichstag eine Majorität für die neue Wirthschaftspolitik zu schaffen, ohne, was man eine Zeitlang für wahrscheinlich hielt, zu einer Auflösung greifen zu müssen. Die Männer, mit deren Beistand er die achtjährige „liberale Aera" gegründet, konnten sich nicht entschließen, das Bündniß auf Kosten ihrer Prinzipien und ihrer Popularität festzuhalten; sic gaben in einigen Dingen nach, aber für das Monopol wollten sie eben so wenig eintretcn, wie für die schutzzöllnerischen Vorschläge in vollem Umfang. Sie hätten sich bereit finden lassen, das Deficit in der Reichskasse durch Gewährung einer höheren Tabaksteuer und eine Erweiterung der Finanzzöllc decken zu helfen. Allein ihre Anerbietungen genügten dem Fürsten Bismarck Vicht und die Forderung „constitutioncller Garantien", als Ersatz für die Ver kürzung des Budgctrechts, die in der Ausdehnung des indirecten Steuersystems enthalten sein mußte, war ihm stets zuwider. So sah sich der Reichskanzler für 76*