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II. Die Jahre 1875 bis 1880 in geschichtlichen Umrissen. 1193 Botschafter in London, bei diesen diplomatischen Schachzügcn die Hand im Spiele habe. Seine spätere Beisetzung nach Paris in dieselbe wichtige Amts- sphärc konnte daher nicht verfehlen, in Berlin neues Mißtrauen zu erwecken. Man glaubte darin ei» Zeichen zu erkenne», daß der Einfluß Andraffy's im Schwinden begriffen sei und eine Annäherung des östlichen Doppclrcichcs an Frankreich beabsichtigt werde. Dies würde denn auch die Auflösung deS Drei- kaiserbündnisses zur Folge haben, da die Antipathie des zu Jntrigucn geneigten österreichischen Staatsmannes aus Sachsen gegen das Reich und den Reichs« kanzlcr im Laufe der Jahre sich nicht vermindert zu haben scheint. Die nach trägliche Reise des kronprinzlichcn Paares nach Italien und noch mehr die Kaiser- Apm fahrt Wilhelm s nach Mailand, die an die alten Römerzüge der deutschen Im peratoren erinnerte und mit prachtvollen Festlichkeiten in der alten Langobarden- ßadt gefeiert ward, verscheuchte die letzten Schatten, die das bisherige Frcund- schastsvcrhältniß der beiden Staaten zu verdüstern drohten. Die italienische Presse faßte die Zusammenkunft der beiden Monarchen als Beweis auf, „daß nicht die Race die Grundlage einer andauernden Freundschaft sei, sondern gemeinschaftliche Interessen und gemeinschaftlicher Kampf für die Ideen des Fortschritts." Das Volk jubelte dem „Kaiser Wcißbart" entgegen; und es zeugt von dem Eindruck, den die Zusammenkunft des ersten deutschen Kaisers und des ersten Königs des Politisch-geeinten Italiens hcrvorbrachtc, daß beide Monarchen auf dem großen Rathhaussaalc zu Mailand die Thatsache ihres Besuches durch eigene Unter schrift „zum ewigen Gcdächtniß" beurkundeten. Die Mehrheit des italienischen Volkes hat cs nicht vergessen, daß cs die geachtete politische Stellung, welche das Königreich unter den Nationen Europa's cinnimmt, znm guten Theil dem Bunde mit Deutschland dankt und daß die Sicherheit, welche diese Allianz der apenni- nischen Halbinsel gewährt, die Regierung in Rom in Stand setzt, den Ausbau des Berfassungswerks zu vollenden, sich die Güter des modernen Staates auf dein Gebiete der Cnltur, der Finanz- und Volkswirthschaft, des Rechtslebens mizucigncn und die in Untcritalien und Sicilien noch vielfach gefährdete Sicher heit durch energische Maßregeln zu wahren. Wurzelte doch in beiden Cultur- ländern die Entfaltung des nationalen Lebens in derselben weltgeschichtlichen Wendung der europäischen Bölkcrgeschicke. Der italienische Klerus war zurück haltend. Der Erzbischof von Mailand lehnte die Einladung des Königs zum Galadiner ab. Auch in Oesterreich war der Einfluß Andraffy's stark genug, die M den höheren Gesellschaftskreisen immer noch herrschende Antipathie gegen Preußen und das deutsche Reich niederzuhalteu. Als der Erzherzog Johann Salvator von Toscana in einer Broschüre vor den gefährlichen „Expansiv- bestrebungen" Deutschlands warnte und eine Verstärkung der militärischen Kräfte Oesterreichs empfahl, erlitt er eine Strafversetzung. Erzherzog Albrecht, welcher bisher für den leitenden Geist der antipreußischen Camarilla gegolten, begab sich zu den Herbstmanövcrn nach Schlesien, woraus man auf eine An-