Volltext Seite (XML)
102 Zwischen zwei Revolutionen. Flintenröhren, die in der Fensteröffnung eines Hauses angebracht waren, eine große Anzahl von Kugeln auf die Vorübcrziehendcu abgefcnert, wodurch acht zehn Personen in der Umgebung des Königs, unter ihnen der greise Marschall Mortier, Herzog von Treviso, getödtet und eine noch größere Zahl mehr oder ininder schwer verwundet wurden. Louis Philipp selbst blieb jedoch unverletzt und setzte den Ritt mit dem ihm eigenen standhaften Muthe fort. Das groß artige Leichcnbcgängniß der Gefallenen im Jnvalidendome, dem die ganze könig liche Familie und der Erzbischof von Paris anwohnten, zeugte von dem gewal tigen Eindruck der Schreckcnsthat. Der Verfertiger der neuen „Höllenmaschine" war der Korse Joseph Fieschi, einst Muratistischer Soldat, der während eines vieljährigen Strolchenlebens mehrfach wegen Diebstahls und anderer Vergehen bestraft morden war, eitel, prahlerisch, genußsüchtig und ohne jegliche Spur von Sittlichkeit und Gewissen. Sein Gehülfe war ein alter Arbeiter aus der Revo lutionszeit Namens Morey, Mitglied der „Gesellschaft der Menschenrechte", decorirter Julikämpfer und fanatischer Feind des Königthums, und ein Gewürz krämer Pepin, ein mißvergnügter Demokrat und Republikaner, der die nöthigen Geldmittel hergegeben. Nach einem mehrwöchigen Prozesse vor dem Pairshofe, wobei die ganze Verworfenheit des korsischen Abenteurers zu Tage kam, wurden die drei Hauptangeklagten zum Tode verurtheilt, zwei andere dagegen, Boireau und Nina Lassave, eine der Mätressen des ausschweifenden Wüstlings, freige- Fieschi und seine beiden Mitschuldigen starben unter der Guillotine, verleugnet und verabscheut von den echten Republikanern, aber, wenigstens Morey und Pepin, von der demokratischen Masse und den socialistischen Ge heimbündlern als Märtyrer.gefeiert. Kein Wunder, wenn bei solcher politischen Ueberspanntheit die Mordversuche sich mehrten. Jin Juni 1836 feuerte ein junger republikanischer Brutusschwärmer, Alibaud aus Nimes, unter dem Thorwege der Tuilerien auf den Wagen, der den König mit seiner Gemahlin und Schwe ll. Junster nach Neuilly bringen sollte, und rühmte sich auf dem Schaffst, daß er sterbe „für die Freiheit, für das Menschenwohl, für die Ausrottung der niederträch tigen Monarchie". Der Drang nach Attentaten ergriff die republikanischen Fa natiker wie eine ansteckende Geisteskrankheit, so daß der König trotz seines per sönlichen Muthes auf den Rath der Minister sich bei öffentlichen Festen nicht mehr betheiligte und man die größten Vorsichtsmaßregeln zu seiner Sicherheit anordnete. Das Orleanistische Königthum erfreute sich keiner Sympathien. Die die R-prch>v. höheren Stände nnd ein großer Theil des niederen Bürgerthums sahen dem Treiben der Umsturzpartei, der republikanischen und socialistischen Verbindungen mit Gleichgültigkeit und Schadenfreude zu, ja sie leisteten wohl gar, verstimmt über die Schritte der Regierung, der von denselben ausgehenden Opposition Vorschub. Statt nämlich die Zeitverhältnisse richtig zu würdigen, durch zweck mäßige Reformen im liberalen Sinn, durch Rechtserweiterungeu und Volks-