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I. Erstes Lustrum nach dem Frankfurter Frieden. 117t Castelar, ein glänzender Redner aber ein unpraktischer von idealistischen mil- unter überspannten Ideen erfüllter Staatsmann, nach einer Republik im Sinne der Vereinigten Staaten Nordamerika s strebten, nahmen die Ausschußmitglicdcr unter der Leitung des erfahrenen Marschalls Serrano, die conscrvaiive Republik des Herrn Thiers zum Vorbild und legten weniger Werth darauf, die Zukunft Spaniens an eine republikanische Staatsform von demokratischem Charakter und föderalistischer Grundlage zu knüpfen, als das Reich über die gegenwärtigen Schwierigkeiten hinüber zu führen und dem Gange der Ereignisse nicht durch doc- trinäre Gebilde vorzugrcifcn. Bald erreichte der Streit eine solche Schärfe, daß in der Hauptstadt die Parteien bewaffnet einander gegenüber standen. Doch kam cs nicht zum Acußcrstcn. Die Bürgerwchr, die für die Permanenz-Commission und die alte Nationalversammlung cingctrctcu war, wagte es nicht, mit den aus Freiwilligen gebildeten Rcgierungstruppcn sich in einen Kampf cinzulasicn. Sic zog sich zurück und überließ den Gegnern das Feld. Dies war für Figueras das Zeichen, durch einen Staatsstreich im Kleinen den inner» Zwiespalt zu heben ; die Pcrmapenz-Commission wurde für aufgelöst erklärt, Serrano und seine An- Hänger flüchteten sich über die Grenze oder verbargen sich. Run konnten die Wahlen zur coustituirendcn Nationalversammlung vor sich gehen und fielen auch, wie es in Spanien gewöhnlich geschieht, im Sinne der Regierung aus. Die Con- servativen enthielten sich größtcnthcils der Wahl, so daß die Demokraten, Radi kalen und Föderalisten die Oberhand behielten. Der ehrliche Salmeron selbst erschrack, als er am 1. Juni der neuen Nationalversammlung ansichtig ward, mit welcher Castelar und Genoffen die Ideen der Freiheit, der Menschenrechte, des ewigen Friedens nnd der Bölkerbcglückung verwirklichen wollten, wie der feurige Republikaner in schwungrcichen Rundschreiben dem Auslände verkündigt hatte. Während nun die gesetzgebende Versammlung ans Werk ging, um das alte mon archische Spanien in eine Föderativrcpublik mit dreizehn Bundesstaaten im Sinne populärer Selbstverwaltung nmzugestaltcn, so daß die einzelnen Provin zen eigene Landtage, die Städte und Gemeinden weitgehende autonome Rechte besitzen, die Centralregierung und die gemeinschaftliche Cortesversammlung aus ein cngbegrcnztes Gebiet mit der Hauptstadt Madrid beschränkt sein sollten, wie der amerikanische Kongreß auf Washington, trieb Spanien in Wirklichkeit einer vollständigen Anarchie entgegen. Die Regierung, welche in der ersten Begeisterung der jungen Republik die Conscription abgeschafft und eine freiwillige Volkswehr dekretirt hatte, war ohne hinlängliche Vcrthcidigungsmittcl, da die älteren Sol daten großentheils die Fahne verließen, Rekruten nur in geringer Zahl eintraten. Und nun hielt der Prätendent Don Carlos, der seit einiger Zeit unter N-u^camsti. den Augen der französischen Behörden sich zum Kriege gerüstet und Geld gesam melt hatte, mit großem Gefolge als König Karl VII. seinen Einzug in den z. J,,«. nördlichen Gebirgslandschaften, kündigte durch eine Proclamation seinen Regie rungsantritt an und forderte alle Spanier zur Unterwerfung auf. Bald zählte 74*