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II. Gcschichtslcbeu in den Einzelstaatcn (Frankreich). 101 die Unzufriedenheit: unnatürliche, durch den Zwang der herrschenden Verkehrt, hcit und Verschrobenheit der bestehenden Zustände bewirkte Lagen und Verhält nisse bildeten den Lieblingsstoff der Literaten und Ronianschreiber. Der Glaube an Unsterblichkeit und an eine Vergeltung im Jenseits wurde als ein Wahn hin- gestcllt, wodurch man den um sein Glück betrogenen Armen auf den Himmel vertrösten und von seinen gerechten Ansprüchen auf irdische Glückseligkeit ab- leuken wolle; Regierung und Obrigkeit wurden als eine durch Gewalt begründete Ordnung geschildert, gegen die man keine Verpflichtung habe, und die nur so lange bestehe, als „das Volk" sich seiner Kräfte nicht bewußt sei, oder sie nicht in Anwendung bringe. Durch diese in Frankreich wurzelnden und nach allen Ländern verzweigten Am»«»,. Lehren wurde allmählich der Boden, auf dem das Staatsgcbäude ruhte, untcr- wühlt. Gährcnde Elemente, die von Jahr zu Jahr an Umfang, Ausdehnung nnd Organisation gewannen, drohten der ganzen bestehenden Wcltordnung Um sturz und Verderben. Von der Ansicht geleitet, daß der französische Staats- organisnms nur durch die Gewandtheit und Klugheit des Oberhauptes zusam- mengehaltcn werde, trachteten die Glieder dieser geheimen Verbindungen dem König nach dem Leben, um in dem Augenblick der Verwirrung eine republika nische Staatsform zu begründen und alsdann rasch zu den socialen Reformen zu schreiten. Acht oder zehn Mordanschläge wurden auf Louis Philipp unter nommen, aber allen entging er mit wunderbarem Glück. Der erste ereignete sich schon am 19. November 1832. Als der König zur Eröffnung des Parlaments mit stattlichem Gefolge ans den Tuilerien nach dem Palais-Bourbon fuhr, wurde am Pont Royal ein Schuß nach ihm abgefcucrt. Der mmhmaßliche Verbrecher, ein junger Mann Namens Bergeron, wurde vor das Schwurgericht gestellt, aber trotz seiner frechen Reden aus Ermangelung genügender Beweis gründe frcigcsprochen. In der Folge rühmte er sich vor Gesinnungsgenossen, daß er dennoch der Thäter gewesen sei. In den nächsten Jahren schwirrte die Luft von neuen Gerüchten über Anschläge gegen das Leben des Königs, welche die Polizei fortwährend in Athcm hielten und gerichtliche Untersuchungen zur Folge hatten. Die Beweise waren nicht genügend, um eine Bestrafung zu er wirken, und so wurde in regierungsfeindlichen Kreisen die Behauptung auf gestellt und geglaubt, die angeblichen Verbrechen seien von Agenten der Polizei erfunden oder angestiftet, um dem monarchischen Despotismus als Unterlage zu dienen und rigorose Maßregeln zu rechtfertigen. Aber am 28. Juli 1835 28.Jual8zs. trat ein Ereigniß von dämonischer Schrecklichkeit zu Tage, das ganz Europa mit Entsetzen füllte und die in der Tiefe der conspiratorischen Revolutionspartci lauernden Furien in ihrer ganzen Scheußlichkeit erblicken ließ. Als der König mit den Spitzen des Hofes, der Ministerien und der Armee zur Feier der Juli tage eine große Musterung der Nationalgarden und Linientruppen abhielt, wurde auf dem Boulevard du Temple aus einer Reihe von zusammengefügtcn