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1158 L. Neueste Zeitgeschichte in ihrem äußeren Verlaufe. huldigen. Die Ausgleichung war jedoch nur eine äußerliche und hatte kei neswegs die erwartete Wirkung. In den herrschenden Kreisen machte das Ereignis großen Eindruck: das Haupthindernis einer Wiederherstellung der Monarchie schien dgmit beseitigt. Mei» so schnell ging das Werk doch nicht von statten ; cs waren noch gar manche Anstöße aus dem Wege zu räumen, lind bestanden denn nicht zwischen den Legitimisten und Orleaniste», zwischen den Anhängern der weißen und der dreifarbigen Fahne scharfe prinzipielle Gegen sätze? Indessen brauchte man ja nicht zu eilen. An eine Auflösung der Ver sammlung war nun nicht mehr zu denken; von dem Marschall, dem über Nacht das Regiment in den Schooß gefallen, war nichts zu fürchten, und der Herzog von Broglie, der eigentliche Leuker des Staats, besaß Gewandtheit und Erfahrung genug, um durch Jntrigucu, VcnührungSkünstc und klerikale Ein flüsse sich und seine Gesinnungsgenosse» nm Ruder zu halten. Gegen eine republi kanische Schildcrhebung war man sicher, da der Marschall-Präsident Oberbefehls haber der Armee war. Auch kam cs dcr ncucn Regierung zu Statten, daß Dank der von ThierS abgeschlossenen Ucbcrcinkuuft im September die letzten deutschen Truppen den Boden Frankreichs räumte». Rkstaum. So konnte denn die klerikal - legitimistische Partei im Herbst sich zu den dünun.' kühnsten Plänen versteigen. Seit dcr Versöhnung der beiden Linien der Bour- bou'schen Dynastie schien eine zweite Restauration im Geiste der Jahre 1811 und 1815 leicht durchführbar. Wenn cs der Nationalversammlung, worin die Monarchisten und Ultramontanc» die entscheidende Stimme hatten, gelingen sollte, den Grafe» vo» Chnmbord, der in de» Augen der Legitimisten als „Henry-Quint" der alleinberechtigte Herrscher Frankreichs war, ans den Thron seiner Väter zurückzuführen, welch ein mächtiger Umschwung dcr öffentlichen Dinge in ganz Europa ließ sich dann erwarten! Frankreich würde dann an die Spitze einer Rcaction trete», a» die sich die »ltramotttancn Parteien aller Länder anschlicßen könnten, welcher dcr „Gefangene im Vatican" seinen Segen und seine Unterstützung spenden würde, ui» sofort wieder in seine weltliche Herrschaft eingesetzt zu werde». Die Karlistc» i» Spanien, die Papisten in Großbritannien und Irland, die Ultramontaucn in Deutschland und die ganze thätige Miliz des unfehlbaren Papstthums und der streitenden Kirche würden in dem restaurirten Frankreich mit dem legitimen „Roy" an der Spitze, ihren Hort und Verfechter verehren. Dann würde das deutsche Reich mit dem Kaiscrlhuin des protestantischen Hauses Hohcnzollcrn, das so kriegsstark und drohend im Herze» Europas emporgesticgc», bald wieder a»sei»ander fallen, in Deutschland und Italien würden kleine Staaten, wie ehedem, die Suprematie und Schutz- Herrschaft des monarchischen Frankreich anerkenne»; dann würde auch Oesterreich, das sich durch das deutsche Element in die Bahnen dcr modcnicn Staatsent wickelung und des geistigen Fortschritts hatte treiben lassen, wieder zu der alten katholisch-couservativen Politik zurückkehrcn. Wie vor fünfzig Jahren die erste