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I. Erstes Lustruin nach dein Frankfurter Frieden. 1153 hätten. Und während die Linke auf Selbstauslösung und Neuwahlen drang, suchte die Majorität ihre Gewalten ins Unbestimmte zu verlängern; jene in der Hoffnung, diese in der Furcht, daß aus einer neuen allgemeinen Volksabstimmung die Demokratie siegreich hcrvorgehen würde. So konnte weder die Errichtung einer Art erster Kammer, noch eine genauere Bestimmung über die Stellung des Präsidenten und die Verantwortlichkeit der Minister durchgcführt werden; selbst die zum dritten Male angebotene Amtsniederlegung des Oberhauptes der Regie rung hatte keine Wirkung. Cs blieb bei der „conscrvalivcn Republik", die Thiers in einer mit sehr gctheiltcr Zustimmung vernommenen Botschaft bei dem Wieder- zusannncntritt der Versammlung verkündete. Man steuerte ohne bestimmte Fahne und ohne Versicherung gegen Unfälle einer unbekannten Zukunft entgegen. Ein ncugcwähltcr „Drcißigcr-Ausschuß". welcher Vorschläge sür die künftige Ver fassung ausarbeiten oder „constitutioncllc Reformen" bcrathcn sollte, erwarb sich ob seiner stationären Haltung den Beinamen der „dreißig Chinesen". So unstreitig die hohen Verdienste waren, die sich Thiers um Frankreich «mg-. erworben hat, durch Ausrichtung der öffentlichen Ordnung und Autorität, durch Schaffung einer regulären Armee, durch Wiederherstellung einer soliden Finanz- wirthschaft; alle diese Verdienste fanden vor der Partcisucht lund der politischen Leidenschaftlichkeit der Volksvertreter in Versailles keine Anerkennung. Immer mehr gewann die royalistische Rcaction Boden und suchte im Bunde mit den Klerikalen und mit dem nationalen Haß und Vorurtheil ihre Gegner zu Fall zu bringen. Gegen die Radikalen und Liberalen, zu denen auch der Voltairianer Thiers gezählt ward, wurde der Aberglaube und Fanatismus losgelaffen und gegen die Bonapartisten organisirte man den Terrorismus der Kriegsgerichte. Die Fran zosen konnten sich nicht in den Gedanken finden, daß ihre militärische Suprematie durch die Ueberlegenhcit der preußisch-deutschen Waffen und der Kriegskunst der Gegner im letzten Kriege gebrochen worden sei; die Niederlagen sollten nur von dem Verrath oder der Unfähigkeit der Führer herrühren. Diesem nationalen Vor- urtheil beschloß die Regierung entgegeuzukommen, der Volksleidenschast Opfer zu bringen. Und so erlebte denn die Welt das klägliche Schauspiel, daß die Kommandanten, welche die sranzösischen Festungen dem Feinde übergeben hatten, einem kriegsgerichtlichen Verhöre unter dem Vorsitze des Marschall Baraguny d'Hilliers unterworfen und die Mehrzahl derselben wegen bewiesener Unfähigkeit oder Schwäche in ihrer militärischen Ehre geschädigt wurden, in einem Augen blick, da Alle Ursache hatten, an die eigene Brust zu schlagen und auf den zu- sammengebrochenen Ruinen einen neuen Bau aufzurichtcn, statt in dem vergan genen Unglück zu wühlen und die Fehler Einzelner bloszustellen. Auch Uhrich, der einst so hochgefeierte Commandant von Straßburg, mit dessen Namen inan eine Pariser Straße belegt hatte, wurde von dem kriegsgerichtlichen Rngcsprnch getroffen. Aber für die Hauptaktion war der Oberbefehlshaber von Metz, der Marschall Baz aine auscrschen, dessen „Vcrrath" das ganze Unglück Frankreichs Wibtr, Welkgeschich,-. XV. 73