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I. Erstes Luslrum nach dem Frankfurter Frieden. 1135 Basis der Volkswahlcn in allen LandcStheilen stellte, die Sonderlandtage auf ihre eigenen Angelegenheiten beschränkte, den Polen in Galizien einige nationale Zu- geständnisse machte, ward der Weg betreten, der zu diesem Ziele führen muß: die verfassungsmäßige Einheit des Reichs mit Eindämmung der föderalistischen Ten denzen war ei» Sieg des deutsch-liberalen Geistes. Umsonst setzten die Männer des Rückschritts, die Feudalen, Klerikalen, Aristokraten in Verbindung mit den Föderalisten alle Hebel ein, selbst in der Umgebung des Monarchen, um die Nc- iorm des Rcichsraths, wonach derselbe künftighin durch direkte Volkswahlen, nicht mehr wie bisher durch Wahlen der siebzehn Landtage gebildet werden sollte, zu verhindern; Franz Joseph erthcilte den Beschlüssen seine Sanction. Damit lenkte Oesterreich wieder in freiere Bahnen ein. Und selbst in religiösen Dingen ward das Doppelrcich mehr und mehr in die Atmosphäre des modernen Staats ge drängt. Hat auch das päpstliche Kirchenwesen bei dem katholischen Volke, in den dynastischen und aristokratischen Traditionen, in der geschichtlichen Vergangen heit, in der klerikalen Erziehung eine viel festere Basis als in dem durch ver schiedene Bekenntnisse gespaltenen, von protestantischer Wissenschaft durchdrungenen deutschen Reich, so mußte doch auch die österreichische Regierung, wie wenig Sym pathie der Cultusminister Stremeyer für die Ideen der Toleranz und Humanität innerlich haben mochte, ernstliche Versuche machen, den Staat von den Banden der Kirche zu befreien und auf die eigenen Füße zu stellen; sie mußte confcssionelle Gesetze erlassen, mußte das Ansehen der weltlichen Macht gegenüber den klerikalen und jesuitischen Bestrebungen wahren und rechtlich begründen, mußte die geist lichen Einflüsse von der Politik und Regierung abstreifen. Seitdem der ungarische Graf Andrassy, der einst wegen Theilnahme an der revolutionären Erhebung seines Vaterlandes in der Verbannung gelebt hatte, die Stelle des Grafen von Beust an der Spitze des Reichsministcriums übernommen, ist diese Richtung nicht mehr verlassen worden. Im Gegensatz zu der Beust'schen Politik der „freien Hand", wobei man niemals sicher gewesen, wohin sie im gegebenen Augenblick sich wenden könne, erklärte Andrassy seine Politik als eine „Politik mit gebundener Marschroute", und diese sei „der Friede mit allen, in erster Linie mit unseren Nachbarstaaten". Man müsse die Ueberzeugung erwecken, daß man „als Freund zuverlässig, als Feind gefährlich" sein könne. Ein ritterlicher Mann von gefälligem Wesen erfreute sich der ungarische Graf der Gunst des Kaisers und der Hofkreise und war ein geschickter Vermittler zwischen den beiden Reichshälften. Durch ihn und durch den österreichischen Ministerpräsidenten Auersperg wurden die reac- üonären und absolutistischen Elemente zurückgedrängt, das öffentliche Leben an die Verfassung geknüpft, die föderalistische, klerikale und feudale Opposition mit Schonung und Rücksicht, aber mit Kraft und Entschlossenheit niedergehalten. Bei der Stellung Oesterreichs zum deutschen Reiche konnten die kirchlich- Kirch-ngis-h-. politischen Vorgänge in dem letzteren nicht ohne Rückwirkung bleiben. Auch in Wien erkannte man die Nothwendigkeit, die Verhältnisse zwischen Kirche und