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1132 L. Neueste Zeitgeschichte in ihrem äußeren Verlaufe. Einzcllandtagcn eine größere Competcnz zu gebe», die Provinzen in Bezug auf Gesetzgebung und Verwaltung unabhängiger zu stellen, die Rechte des gemein' samcn Reichsraths und Reichsministern»«« zu mindern, das Ucbergcwichl der deutschen Sprache und StaatSschulc zu schmälern, war das Ziel dieser Begründer „einer wahrhaft österreichischen Politik". Das Ucbergewicht deS deutschen Cle ments in der westlichen Rcichshälfte diesseits der Leitha sollte verdrängt werden durch einen Föderalismus, in welchem den slavischcn Völkcrstämmcn unter dein Schilde der „Gleichberechtigung" das entscheidende Wort zufallen mußte. Ver gebens richtete die Verfassungspartci eine Adresse an den Kaiser; dieser erklärte, daß das Ministerium sein volles Vertrauen besitze; vergebens wurde im Ab geordnetenhaus der Antrag auf Verweigerung des Budgets gestellt; Vielen er schien der Schritt zu kühn und revolutionär, der Antrag erlangte nicht die Mehr heit. Dadurch crmnthigt ging das Ministerium weiter voran: die konstitu tionelle Rcichsverfassung sollte zu einem Schattenbild herabgesetzt und der Schwerpunkt in die Provinziallandtage verlegt werden. Um diesen Zweck zu er reichen, wurde beschlossen, diejenigen Landesversammlungen, in welchen dat deutsche Element vorwiegend war, aufzulösen und neue Wahlen anzuordnc». Cs war ein eigenthümliches Zusammentreffen, daß in demselben Augustmonat, n. Aug. als die Zusammenkunft der beiden Kaiser in Ischl und der beiden Reichskanzler in Gastei» den Glauben an eine größere Annäherung zwischen dem deutsche" Reich und der österreichisch-ungarischen Monarchie erweckte, Franz Joseph jene is. Aug. Patente erließ, welche die deutsche Verfassungspartci in Oesterreich als eine „Kriegserklärung" auffassen mußte. Sie verfügten die Auflösung des Abgeord netenhauses, des Rcichsraths und der deutschen Landtage und ordneten an, das die neugewählten Deputirten am 14. September sich wieder versammeln sollte». Damit war dem deutschen verfassungstreuen Oesterreich das Zeichen zu eine>» Kampf auf Leben und Tod gegeben. Fielen die Wahlen ungünstig aus, so kai» das Regiment in der cislcithanischen Reichshälfte an die Klerikalen, Feudalen, Czechcn und Slovcnen; dann wurde Oesterreich auch gegen das neue Reich i» das Feld geführt. Schon stellte der österreichische Episcopat in einer Denk schrift das Ansuchen an den Kaiser, er möge bewirken, daß Rom dem Paps» zurückgegeben würde. Si-g d-r Die Führer der deutschen Bevölkerung strengten alle Kräfte an, dem gegen V'EÄ'das Staatsgrundgcsctz gerichteten Sturm zu begegnen; Alle sollten cintrctcn, verkündeten ihre Aufrufe, für die Erhaltung der bestehenden Verfassung, die ihnen die letzte Bürgschaft einer rechtlichen und freien Existenz in diesem Völkcr- staat gewähre. Aber was vermochten die patriotischen Ansprachen gegenüber dein Einfluß, den die Regierung, die Fcudal-Ultramontanen, der Großgrundbesitz, der engherzige Particularismus in die Wngschale zu legen hatten! Die An hänger der Idee der Staatseinheit waren nicht stark genug, die Pläne der Re gierung und der Gegner zu Falle zu bringen. Schon wurde auf dem Prager