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I. Erstes Lustrum nach dem Frankfurter Frieden. 112t Februar 1b75 die Maigcsexe in der schroffsten Weise verwarf und erklärte, daß alle diejenigen Geistlichen, welche sich denselben fügen würden, der größeren öxcommunica- tion verfallen seien, woraus mit ihnen jeder Verkehr vermieden werden müsse. „Um die Pflichten Unseres AmtcS zu erfüllen", heißt cS in dem Schreiben, „erklären wir ganz offen Allen, welche cS angebt, und dem ganzen katholischen Erdkreise, daß jene Gesetze ungültig sind, da sie der göttlichen Einrichtung der Kirche ganz und gar widerstreiten. Tenn nicht die Mächtigen der Erde Hal der Herr den Bischöfen seiner Kirche vorgesetzt in den Dingen, welche den heiligen Dienst betreffen, sondern den heiligen PctruS, und darum können auch von keiner noch so hochstehenden weltlichen Macht diejenigen ihres bischöflichen Amtes entsetzt werden, welche der Heilige Geist zu Bischöfen gesetzt hat, um die Kirche zu regieren. — ES will unS scheinen, als ob jene Gesetze nicht freien Bürgern gegeben, um einen vernünftigen Gehorsam zu fordern, sondern Srlaven auf gelegt seien, um den Gehorsam durch des Schreckens Gewalt zu erzwingen. — Jene Gottlosen aber, welche unter dem Schutze der bürgerlichen Gewalt verwegen Pfarrkirchen in Besitz genommen und den heiligen Dienst in denselben auszuübcn gewagt haben oder stch in Zukunft ähnlicher Verbrechen schuldig machen, erklären wir gemäß der heiligen Canoncs rechtlich und thatsächlich der größeren Epcommunication verfallen; und wir ermahnen die frommen Gläubigm, daß sie sich von dem Gottesdienst derselben fern halten, von ihnen die Sacramcntc nicht empfangen, und so sich vorsichtig des Umgangs und Verkehrs mit denselben enthalten, damit nicht der böse Sauerteig die gute Masse verderbe". Schließlich werden die Bischöfe um ihres standhaften Verhaltens willen ge lobt: „Jene, welche Euch feindlich gesinnt sind, mögen wissen, daß Ihr, indem Ihr dem Kaiser zu geben verweigert, was GottcS ist, der königlichen Autorität kein Unrecht zufügen und ihr Nichts entziehen werdet. Denn geschrieben steht: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen". Man hätte denken sollen, daß in dem großen Conffictc der preußischen gierung mit dem Ultramontanismus die protestantischen ConfessionsverwandtenAE^ sich um so aufrichtiger an jene angcschlossen, sic durch ihre eigene innere Einigkeit um so nachdrücklicher unterstützt haben würden. Wie die halbamtliche „Provin- zial-Corrcspondenz" niit Recht hcrvorhob, „handelte cs sich bei dem Kampfe der Regierung gegen Rom zugleich um so unzweifelhafte Interessen der gcsammtcn evangelischen Kirche, daß alle untergeordneten Bedenken zurücktreten müßten gegenüber der Pflicht, die Regierung des Königs auf dem schwierigen Wege zu stützen". Aber es liegt nun einmal in dem Charakter des Confcssionalismus, sich engherzig und lieblos gegen jede abweichende Richtung abzuschlicßen. So lange das Mühler'sche System im Cultusministcrium die Herrschaft besaß, wurde wie in der katholischen Kirche der Klcrikalismus, so in der evangelischen der hoch- kirchliche Positivismus mit besonderer Vorliebe gepflegt und begünstigt (S. 73 f.). Gerade solche Geistliche, die sich vorzugsweise als die ersten Jünger Luther's be zeichnen, standen noch, gegenüber sowohl den andern reformatorischen Bekennt nissen als der ganzen modernen Theologie und Wissenschaft, auf dem Standpunkte der Concordienformel fXI, 730 ff.)! Eine Nachwirkung dieses Mühler'schcn Geistes war die Einleitung einer Untersuchung gegen den Berliner Prediger Sydow, der, nachdem er in einer langen Reihe von Jahren mit rüstiger Kraft sür die Union und für die freie Entwickelung der evangelischen Kirche im Geiste W-b-r, WMgeschichte. XV. 71