I. Erstes Lustrum nach dem Frankfurter Frieden. 1119 entgangen sein, daß ähnliche Erscheinungen sich gegenwärtig in der Mehrzahl der europäischen und in einigen überseeischen Staaten wiederholten. Die Auf gabe des Kaisers sei cs, in den Staaten, deren Regierung ihm von Gott anver lraut sei, den inneren Frieden zu schützen und das Ansehen der Gesetze zu wah ren. Zu seinem Bedauern hätten viele katholische Geistliche das Gebot des Gc- Horsanis gegen die weltliche Obrigkeit verletzt und dadurch die kaiserliche Re gierung in die Nothwcndigkeit gesetzt, die Befolgung der Landcsgesctze durch weltliche Mittel zu erzwingen. Aber die Religion Jesu Ehristi und die Wahr heit, zu welcher auch er sich rückhaltslos bekenne, hätten mit diesen Umtrieben nichts zu thun. Ucbrigcns könne er die Acußerung, daß jeder Getaufte dem Papste angehöre, nicht ohne Widerspruch übergehen. Der evangelische Glaube, zu welchem er sich gleich seinen Vorfahren und mit der Mehrheit seiner Unter- thanen bekenne, gestatte ihm nicht, in dem Verhältniß zu Gott einen andern Vermittler als unsern Herm Jesum Christum anzunehmen". Am Tag zuvor war in Berlin und in ganz Deutschland der Jahrestag der Schlacht von Sedan gefeiert worden. Diese königliche „That in Worten" war ein würdiger Schluß des Festes; die mannhafte Antwort fuhr wie ein Wetterstrahl in die Seelen der Menschen. Bald nachher fanden die allgemeinen Erneuerungswahlen für das prcu- D^snm. ßischc Abgeordnetenhaus statt. Die Ultramontanen strengten alle Kräfte an, ^^87^ Männer von ihrer Gesinnung dnrchzusetzen; die Bischöfe forderten in Hirten briefen die Gläubigen zur eifrigen Theilnahme an der Wahl auf. Diesen An strengungen war es zu verdanken, daß die Centrumsfraction einen nicht unbe trächtlichen Zuwachs erhielt. Dennoch blieb sie gegenüber den Nationalliberalen und der Fortschrittspartei, die in den kirchenpolitischcn Fragen meist zusammen- stinnnten, weitaus in der Minderheit; von den Conscrvativen hatte sie wenig Hülfe zu erwarten; diese einst so einflußreiche Partei war, seit ihr die Unter stützung der Regierung fehlte, auf wenige Köpfe herabgesunken. In ultramon tanen Kreisen triumphirte man über den Zuwachs; denn die Regierung hatte die Absicht, die Einführung der obligatorischen Civilehe zu beantragen und ein Ge setz vorzulegen, kraft dessen den Patronen oder Gemeinden das Recht cingeräumt tverdcn sollte, bei fortgesetzter Erledigung der Pfarreien sich selbst ihre Pfarrer zu wählen. Diese Gesetze, die dem klerikalen Einfluß großen Abbruch zu bringen drohten, hofften die Herren vom Centrum mit Hülfe ihrer Verbündeten aus andem Oppositionsfractionen zu verhindern. Aber noch war wenig Aussicht, daß der Weg der Freisinnigkeit und des Fortschritts, den die Regierungen in Preußen, wie m ganz Deutschland eingeschlagen, durch die dunkeln Mächte versperrt würde. Eine der ersten Vorlagen war der Entwurf eines Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung, mit dessen Annahme in der preußischen Monarchie die obligatorische Civilehe rechtsgültig geworden ist. Der Antrag Mallinckrodt's und Reichensperger's, die Maigesetze aufzuheben und